Molekulargenetische Diagnostik ist in der Onkologie schon heute ein großes Thema. Neben dem – vor allem durch Outings von Prominenten – selbst vielen Laien geläufigem "Brustkrebsgen", gibt es rund 50 aktuell bekannte erbliche Tumorsyndrome mit Ausprägungen in diversen Organsystemen.
Beispiele sind hier die familiäre adenomatöse Polyposis (FAP), das hereditäres diffuse Magenkarzinom, das Von Hippel-Lindau-Syndrom oder die multiple endokrine Neoplasie (MEN) mit mehreren Subtypen.
Fachleute gehen davon aus, dass die hier zugrunde liegenden Gendefekte für etwa 5 % aller Krebserkrankungen verantwortlich sind. Identifiziert man eine solche Veranlagung rechtzeitig, kann mithilfe von Präventivmaßnahmen und/ oder engmaschigen Kontrollen das Risiko einer tödlich verlaufenden Krebserkrankung meist deutlich reduziert werden.
Beim familiären Brust- und Eierstockkrebssyndrom entsteht bei Veränderungen der sogenannten BRCA1/2-Gene in 60–80 % der Fälle ein Mammakarzinom und in 30–40 % ein bösartiger Ovarialtumor. Weiß man über diese Disposition Bescheid, kann durch hochfrequente Screenings oder ggf. Entfernung der Zielorgane ein fataler Verlauf meist verhindert werden. Der weiblich anmutende Name sollte hier übrigens nicht täuschen: Auch Männer können von BRCA-Mutationen etc. betroffen sein und entwickeln dann entsprechend Prostatakrebs, Gastrointestinaltumore oder ebenfalls Mammakarzinome.
Besteht durch auffällige Häufungen von bestimmten Krebserkrankungen im engen Familienkreis ein Verdacht auf eine erbliche Komponente, kann ein Gentest sinnvoll sein – der in solchen Fällen übrigens auch von den Kassen bezahlt wird. Ein Test kann auch dann angebracht sein, wenn bei einem Krebspatienten, z.B. durch auffallend frühes Erkrankungsalter eines bestimmten Tumors, die Vermutung eines hereditären Syndroms besteht und dieser Betroffene sich Gedanken um die Gesundheit seiner Nachkommen macht. Immerhin läge die Vererbungs-Wahrscheinlichkeit dann statistisch bei 50%!
Ein genetischer Test bedarf selbstverständlich einer intensiven Beratung und Betreuung vor und nach der Untersuchung, schließlich muss der Betroffene die Konsequenzen eines positiven Resultats nicht nur verstehen, sondern oft auch seelisch verkraften. Und auch die nächsten Blutsverwandten – Eltern, Geschwister, ältere Kinder, – werden durch die Detektion dieser "familiären Besonderheit" fast immer ebenfalls tangiert, ob sie wollen oder nicht.
Ist die Diagnose einmal kommuniziert, setzen sich erfahrungsgemäß und nachvollziehbar auch viele der Angehörigen mit der eigenen potentiellen Gefährdung und ggf. der ihrer Nachkommen auseinandersetzen. All das kann viele Fragen aufwerfen und auch starke Emotionen wie Ängste oder Schuldgefühle hervorrufen. Zusammen mit der Sorge um den Betroffenen kommt es nicht selten zu massiven Belastungssituationen. Es ist entsprechend sinnvoll, das Beratungsangebot nicht nur auf den Ratsuchenden zu beschränken, sondern bei Bedarf auch den engen Familienkreis einzubeziehen.
Hier lässt sich durch verständliche und umfassende Information und pragmatische Handlungsempfehlungen viel Sicherheit und Zuversicht zurückgeben.
Schließlich kann man trotz der oben genannten Herausforderungen sagen, dass der Benefit einer solchen gezielten Diagnostik eventuelle Schattenseiten meist deutlich überwiegt. Wissen ist in dem Fall Macht. Und mit entsprechender Vorsorge kann der Betroffene lebenslang ein asymptomatischer Anlageträger bleiben, anstatt ein Hochrisikokrebspatient zu werden.
Dieses sollte sachlich und patientengerecht angesprochen werden, ebenso wie häufige Missverständnisse: Ein positiver Befund heißt nicht, dass der Betreffende auf jeden Fall erkranken wird, genauso wenig wie ein negativer Befund definitiv vor dieser oder gar anderen Tumorerkrankungen schützt. Auch garantiert eine erfolgreiche Krebsbehandlung nicht, dass dieses Karzinom erneut auftritt, oder sich später ein syndrom-assoziiertes oder ganz anderes sporadisches Malignom bildet.
Sequenziert man nicht nur bezüglich des singulären Verdachtgens, sondern führt man die, heute häufiger werdenden Paneluntersuchungen durch, wird die Sache noch deutlich komplexer. Hierbei können mittels Hochdurchsatzsequentierung gleichzeitig mehrere hundert potentielle Krebsgene analysiert werden, was das Ergebnis entsprechend facettenreicher macht: Neben Hochrisiko-Genen in der Verdachtslokalisation, können auch high risk- oder moderate risk-Gene in anderen Regionen gefunden werden – oder aber unklare Befunde, die international variant of uncertain significance (VUS) genannt werden.
Außerdem kann jemand eine Genveränderung haben, die noch nicht mit einem Krebsleiden assoziiert wurde, oder aber eine, die mit den bisherigen Methoden nicht aufgedeckt wird. Oder bei der vermutet wird, dass sie mit einer speziellen Veranlagung korreliert ist, was sich bei späteren Forschungen jedoch nicht erhärtet....
Viele spannende Aspekte und Fragen, bei der die Wissenschaft aber oftmals einfach noch keine abschließenden Antworten geben kann. Multiple Paneluntersuchungen deshalb grundsätzlich zu unterlassen, ist keinesfalls angebracht. Viele Patienten sind reif und stark genug, um Unwägbarkeiten und unerwartete, ggf. unklare Risiken als solche einzuordnen und zu verkraften. Entscheidend ist eine umfassende Aufklärung VOR der Gen-Diagnostik, um die Erwartungen entsprechend zu adjustieren. Am Ende muss jeder selbstverantwortlich entscheiden: Hilft es mir, mein Risikoprofil möglichst genau zu kennen und eventuelle Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, selbst wenn manche Punkte offen bleiben? Beziehungsweise: Möchte ich wirklich eine Detektion, die ggf. "etwas findet", was aus heutiger Sicht weder seriös bewertet, noch effektiv behandelt werden kann?
Hier sollten die betreuenden Mediziner besonderes Fingerspitzengefühl beweisen. Ein durch einen unerwarteten Befund bereits verunsicherter Patienten braucht vielleicht nicht unmittelbar eine Komplett-Analyse. Ein anderer möchte hingegen gern alles wissen, was über sein Erbgut heute schon eruierbar ist.
Auf jeden Fall muss ein "Nein" des Patienten – gerade, wenn es eher zögerlich kommt – auch akzeptiert werden. Wo die Medizin heute noch weitgehend im Dunkeln tappt, wäre es eher unverantwortlich, Menschen mit ggf. verstörenden Informationen zu konfrontieren, die nicht abschließend belegt sind und, die auch keine Handlungsempfehlungen nach sich ziehen...
Quellen: