Endokrin wirksame Substanzen sind im Alltag allgegenwärtig und seit einigen Jahren häufen sich die Hinweise darauf, dass deren östrogene Eigenschaften möglicherweise mit den steigenden Brustkrebsraten in Verbindung stehen.
Endokrine Disruptoren (EDCs für endocrine-disrupting compounds) kommen ubiquitär vor: in Pestiziden, Weichmachern, pharmazeutischen Wirkstoffen, Körperpflegeprodukten, aber auch in Lebensmitteln und Lebensmittelverpackungen. Beispiele sind Bisphenol A (BPA), Phthalate, Parabene, Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (z. B. PFOA), Polychlorierte Biphenyle (PCBs) oder Kontrazeptiva.
"Zunehmende epidemiologische Evidenz deutet darauf hin, dass EDCs die Entwicklung oder das Wachstum von Brustkrebs beeinflussen und folglich zu lebenslangen schädlichen Folgen für die Gesundheit führen können, insbesondere wenn die Exposition früh im Leben erfolgt. Dennoch wurde bisher keine Bewertung der verfügbaren Evidenz zu diesem Thema durchgeführt2, schreiben die Autoren eines aktuellen systematischen Reviews, welches die bekannten Signale zusammenträgt.1
EDCs, deren Wirkung die von Östrogenen imitiert, werden auch als Xenoöstrogene bezeichnet. Etliche der inzwischen besser untersuchten Verbindungen sind mittlerweile verboten, bei anderen oder neueren ist die Datenlage noch gering. Doch da die meisten EDCs in der Umwelt sehr persistent und bioakkumulativ sind, ist es wichtig, die langfristigen Auswirkungen zu bewerten, auch über mehrere Generationen.
Die für den Übersichtsartikel zusammengetragenen Daten aus 131 Studien bestätigen, dass die Exposition gegenüber bestimmten EDCs das Risiko für Brustkrebs potenziell erhöhen kann. Ein Zusammenhang mit der Brustkrebsinzidenz ist am besten für das Pestizid DDT und seine Metaboliten in Fettgewebe und Blut beschrieben. So berichteten gleich neun epidemiologische Studien über höhere DDT‑Spiegel bei Brustkrebs-Patientinnen als bei Kontrollen. In einigen Studien wurde DDT auch mit Hormonrezeptor-positivem Brustkrebs (ER+) in Verbindung gebracht.
Auch das – aufgrund dessen, dass es schwer abgebaut wird – als "Ewigkeitschemikalie" bezeichnete PFOA (Lebensmittelverpackungen, Antihaftbeschichtungen, in Kochgeschirr seit 2020 in der EU verboten) ging in drei von fünf epidemiologischen Studien mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko einher.
Polychlorierte Biphenyle (PCBs) sind eine große Gruppe von Verbindungen, die früher häufig in Elektrogeräten, Oberflächenbeschichtungen, Fugenmassen, Wandanstrichen etc. eingesetzt wurden. Die 50 von den Autoren des Reviews berücksichtigten Studien kamen nicht zu einheitlichen Schlüssen, doch 19 Studien brachten einige PCBs mit einer höheren Brustkrebsinzidenz in Verbindung. Auch bei PCBs handelt es sich um sog. langlebige organische Schadstoffe (POP für persistent organic pollutants), die sich analog zu DTT im Fettgewebe und in der Nahrungskette anreichern und über die Muttermilch ausgeschieden werden können.
Parabene begegnen uns als Konservierungsmittel in Lebensmitteln und Kosmetik und gelten als mögliche endokrine Disruptoren. Die einzige epidemiologische Studie berichtete über eine Assoziation zwischen Parabenexposition, Brustkrebsrisiko und Mortalität nach Brustkrebs.2
Der Zeitpunkt der Exposition ist dabei offenbar so wichtig wie die Dosis. Wenn junge Frauen oder Mädchen, die in die Pubertät kommen, ständig Umweltgiften wie EDCs ausgesetzt sind, ist die Anfälligkeit für Krebs erhöht, selbst bei niedrigen Konzentrationen, da EDCs das endokrine System bei der Regulierung von Wachstum und Differenzierung stören. Auch schwangere Frauen und Feten in der Entwicklung gelten als besonders vulnerable Gruppe.
Die Einnahme oraler Kontrazeptiva stand in sieben von acht epidemiologischen Studien mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko in Verbindung, uneindeutig blieb jedoch, wie die Dauer oder das Absetzen der Einnahme oraler Kontrazeptiva das Risiko beeinflusste.
Einige Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Genetik ebenfalls mitbestimmen könnte, wie stark EDCs die Anfälligkeit des Trägers für Krebs beeinflusst. Ein Beispiel ist der Polymorphismus des CYP1A1-Gens, welches für den Östrogenmetabolismus verantwortlich ist.
Die Autoren hoffen, dass sich hier noch viel mehr tut: "Die außerordentlichen Fortschritte bei den Technologien der nächsten Generation, wie z. B. Genomsequenzierung, Proteomik oder Epigenomik, können helfen, die wichtigsten molekularen Veränderungen durch EDC-Exposition zu identifizieren, die dann als potenzielle Expositions-Biomarker mit besserer Empfindlichkeit und Spezifität etabliert werden können. Diese Technologien werden auch den Weg für eine bessere Bewertung vergangener Expositionen und die Vorhersage zukünftiger Risiken ebnen, indem sie das genetische Profil einer Person berücksichtigen."
Für viele weitere Chemikalien sind die Nachweise uneinheitlich oder noch begrenzt. Eine häufige Limitation besteht darin, dass ein großer Teil der vorhandenen Arbeiten retrospektiv sind. Zudem kommen zahlreiche EDCs zeitgleich in der Umwelt vor, sodass sich das Risiko (bspw. für Brustkrebs) nicht an Untersuchungen einzelner Verbindungen festmachen lässt, vielmehr müssten weitere Studien das Risiko durch Exposition gegenüber EDC-Mischungen untersuchen.
Die Aufnahme dieser Stoffe ist sowohl über direkten Hautkontakt (unser größtes Organ), als auch über die Nahrung oder kontaminiertes Wasser sowie über die Luft möglich.
Die Autoren führen aus, dass unter anderem die Wahl der Ernährung das Ausmaß der Exposition beeinflusst. Selbst innerhalb derselben geografischen Region würden beispielsweise Menschen, die einen großen Anteil an "konventionellen" Lebensmitteln zu sich nehmen, eine höhere Pestizidbelastung erreichen als solche, die mehr Bio-Lebensmittel konsumieren. Dieser Unterschied könnte sich bei fettem Fisch, Fleisch und Milchprodukten besonders bemerkbar machen, da die lipophilen langlebigen EDCs in der Lipidfraktion dieser Nahrungsmittel bioakkumuliert werden.
Lebensmittel sind also ein besonders wichtiger Expositionspfad für EDCs, weswegen gut durchdachte Expositionsbewertungen potenzieller Risikoverbindungen in Lebensmitteln und Lebensmittelverpackungen notwendig sind.
Referenzen:
1. Wan, M. L. Y., Co, V. A. & El-Nezami, H. Endocrine disrupting chemicals and breast cancer: a systematic review of epidemiological studies. Critical Reviews in Food Science and Nutrition https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/10408398.2021.1903382, 1–27 (2021).
2. Review summarizes known links between endocrine disruptors and breast cancer risk. Scienmag: Latest Science and Health News https://scienmag.com/review-summarizes-known-links-between-endocrine-disruptors-and-breast-cancer-risk/.