In Stuttgart ging diese Woche die gemeinsame Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie und ihrer österreichischen sowie schweizerischen "Schwestern" zu ende. Über 5.000 Spezialisten für medizinische Tumortherapie präsentierten, rezipierten und diskutierten dabei neuste wissenschaftliche Erkenntnisse und aktuelle gesundheitspolitische Entwicklungen ihres Fachgebietes.
Dieser regelmäßige und zeitnahe Austausch ist umso wichtiger, als die medizinische Onkologie mittlerweile als eine der innovativsten Disziplinen gilt, deren besondere Herausforderung sich laut Fachgesellschaft aus zwei Tendenzen ergibt: Die Halbwertzeit des Wissens nimmt ab und die Menge der zur Verfügung stehenden Daten nimmt rasant zu.
Um also keine kostbare Zeit zu vergeuden, nachfolgend ein kompakter Überblick der laut DGHO wichtigsten Kongress-Themen und Thesen:
Neben der sich rasch entwickelnden translationalen Stammzellforschung gehörte zu den Schwerpunkten der Jahrestagung auch die Rolle des Mikrobioms für das Immunsystem. "Heute wissen wir, dass das intestinale Mikrobiom ein potenter Modulator systemischer Immunreaktionen ist und konsekutive Auswirkungen auf die Autoimmunität, aber auch auf das Tumorgeschehen besitzt," so Prof. Lothar Kanz, diesjähriger Kongresspräsident und Ärztlicher Direktor am Universitätsklinikum Tübingen. Besonders bei der allogenen Stammzelltransplantation mehrten sich laut Kanz Hinweise auf die Bedeutung des Mikrobioms hinsichtlich der Rezidivgefahr nach einer Transplantation.
Eine besondere Stellung im Programm der Jahrestagung nahmen selbstredend die Erfolge der Immunonkologie ein, zu deren unterschiedlichen Ansätzen optimierte monoklonale Antikörper, bispezifische Antikörper, Toxin gekoppelte Antikörper, zelluläre Therapien, Vakzinierungsstrategien sowie insbesondere auch die Checkpoint-Inhibitoren gehören. Thematisiert wurde auch der Forschungsbedarf hinsichtlich Biomarkern, Resistenzmechanismen sowie Kombinationsstrategien mit molekular gerichteten Behandlungen, Chemotherapie und/ oder Bestrahlung.
Besonders herausgestellt wurde auch die erstaunlich schnelle Zulassung eines Arzneimittels auf Wirkbasis der sogenannten CAR T-Zellen: Im Jahr 2013 wurde die Immuntherapie bei Krebs vom Fachmagazin Science als "Breakthrough of the year" bezeichnet und gerade einmal vier Jahre später – Ende August 2017 – hat die US-amerikanische Gesundheitsbehörde FDA erstmals ein genetisch manipuliertes, zelluläres Immuntherapeutikum für die Behandlung von B-Zell-akuter lymphatischer Leukämie bei Kindern und jungen Erwachsenen bis zum Alter von 25 Jahren zugelassen.
Die DGHO setzt sich heute nicht nur für weitere Grundlagenforschung, sondern auch für den Transfer von innovativen Therapieansätzen in die gesamte Breite der Versorgung ein. Dazu gehören laut Prof. Carsten Bokemeyer, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO und Direktor am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, u. a. die Begleitung und Kommentierung der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) im Rahmen des Verfahrens der frühen Nutzenbewertung nach AMNOG. "Damit stärken wir dezidiert das Mandat unserer ärztlichen Kolleginnen und Kollegen bei der Auswahl der jeweils besten Medikamente für ihre Patienten." Zwar begrüße die DGHO das Verfahren der frühen Bewertung als Instrument zur Preisfindung ausdrücklich, klar müsse aber auch sein, dass die Erstellung und Anpassung von Therapieleitlinien an den Stand des aktuellen Wissens den wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften obliege, so der Geschäftsführende.
Mit Blick auf die rasante Entwicklung im Fachgebiet, die sich auch in der Anzahl und Geschwindigkeit der Zulassung neuer Arzneimittel zeigt, plädierte Bokemeyer neben der frühen auch für eine "späte" Nutzenbewertung, die beispielsweise auf der Basis von Daten aus Versorgungsregistern und durch unabhängige klinische Studien – finanziert von Bund und Krankenkassen – umgesetzt werden sollte. Explizit ging Bokemeyer auf den Nationalen Krebsplan ein. "Als DGHO werden wir eine noch intensivere Kooperation mit dem Bundesministerium für Gesundheit anstreben und uns verstärkt bei der Umsetzung des Nationalen Krebsplans beteiligen." Wichtige Ziele, die bereits bearbeitet werden, sind die Weiterentwicklung der Krebsfrüherkennung, der onkologischen Versorgungsstrukturen und der Qualitätssicherung sowie die Stärkung der Patientenorientierung.
Auch in Zukunft wird die DGHO weiterhin einen Fokus auf den Bereich der Arzneimittelversorgung legen. "Wenn im Nationalen Krebsplan als Ziel festgeschrieben ist, dass alle Patientinnen und Patienten einen fairen und schnellen Zugang zu nachweislich wirksamen innovativen Krebstherapien erhalten, dann gibt es eine Menge zu tun", betont der Geschäftsführende Vorsitzende der DGHO. "Dazu gehören u.a. die Förderung der klinischen Prüfungen onkologischer Behandlung, die Sicherung einer möglichst raschen Übertragung neuer Therapieoptionen aus der Grundlagenforschung in die Anwendung, der zeitnahe Nachweis der Wirksamkeit neuer Therapieoptionen unter Alltagsbedingungen, die zuverlässige anbieterunabhängige und zeitnahe Bewertung neuer Krebsarzneimittel nach der Zulassung, die Sicherstellung einer evidenzbasierten und wirtschaftlichen Verordnungspraxis und die nachhaltige Sicherung der Finanzierbarkeit medizinisch notwendiger hochpreisiger Krebsarzneimittel", so Bokemeyer weiter.
Durch die rasante Wissenszunahme im Bereich der Diagnostik und Therapie von Krebserkrankungen wird laut Bokemeyer die Bedeutung des Fachgebiets der Medizinischen Onkologie zunehmen. "Bei der Klassifikation von Krebserkrankungen erleben wir einen Paradigmenwechsel von einer zellulär- und organpathologischen hin zu einer molekularpathologischen Perspektive. Die Anforderungen an das Verständnis der Wirkmechanismen der neuen Arzneimittel steigen zunehmend. Zudem steigen auch die Anforderungen an ein komplexes und systemisches Nebenwirkungsmanagement." Aus diesem Grund gehören entsprechende Systemtherapien in die Hände von im Bereich der medikamentösen Tumortherapien speziell ausgebildeten Ärztinnen und Ärzten.
Erstmals wurde auf dem Kongress das Format 'Late Breaking Abstracts' angeboten, bei welchem Forschungsergebnisse sowohl aus dem klinischen als auch dem wissenschaftlichen Bereich, die erst nach der Deadline zur regulären Abstract-Einreichung verfügbar und damit "ganz frisch" sind, einem breiten Publikum präsentiert werden konnten.
Auch mit der neuen Plattform "Pro & Contra Debatte" schuf die DGHO nun ein Forum, bei welchem im Fachgebiet stattfindende Kontroversen diskutiert werden konnten –beispielsweise zu Themen wie personalisierte Medizin oder klinische Stammzelltransplantation.
Über die originär medizinischen Themen hinaus wurde im Programm auch ausreichend Raum für gesundheitspolitische Debatten geschaffen. Deren Dringlichkeit verdeutlicht Prof. Bokemeyer: "Infolge der dramatischen Innovationen im Bereich der medikamentösen Tumortherapie sehen wir heute bei bestimmten Entitäten chronische Verläufe mit nahezu normaler Lebenserwartung. Dabei ist der wissenschaftliche und medizinische Fortschritt oft mit höheren Kosten für das solidarisch finanzierte Gesundheitssystem verbunden. Mit diesem Spannungsfeld aus Medizin und Ökonomie werden wir uns als Ärztinnen und Ärzte in Zukunft noch stärker auseinandersetzen müssen."
Neben der Umwerbung und Förderung des wissenschaftlichen und ärztlichen Nachwuchses z.B. in Form von spannenden Hands-on-Seminaren zum Vorgehen bei onkologischen Notfällen, zur Statistik oder Karriereplanung, gab es als eines der jährlichen Highlights wieder die Vorstellung der von einem unabhängigen Gutachter-Komitee gekürten, besten Abstracts des Kongresses. Diese sind hier einzusehen: "Best Abstracts der Jahrestagung 2017"
Quellen: Pressemitteilungen zur Jahrestagung 2017 :
(1) "Krebsmedizin 2017: Enorme Innovationsschübe. Große Herausforderungen"
(2) "In vier Jahren vom „Breakthrough of the year“ bis zur ersten Zulassung: Die Hämatologie und Onkologie bleibt ein extrem innovatives Fachgebiet"
(3) "Krebspatienten leben länger"