"Bitte höre, was ich nicht sage" – wie Ärzte und Angehörige Krebspatienten besser unterstützen können Logo of esanum https://www.esanum.de

"Bitte höre, was ich nicht sage" – wie Ärzte und Angehörige Krebspatienten besser unterstützen können

Nach einer Krebsdiagnose ist emotionaler Rückhalt besonders wichtig. Doch manchmal kann es für Angehörige, Kollegen und selbst für Ärzte schwierig sein, zu wissen, was derjenige wirklich denkt, fühlt und braucht und was man tun oder sagen soll.

Nach einer Krebsdiagnose ist emotionaler Rückhalt besonders wichtig. Doch manchmal kann es für Angehörige, Kollegen und selbst für Ärzte schwierig sein, zu wissen, was derjenige wirklich denkt, fühlt und braucht und was man tun oder sagen soll.

Eine Krebserkrankung kann für schwierig zu navigierende Konversationen sorgen. Manche Patienten sind dankbar, über ihre Diagnose und Therapie sprechen zu können, anderen ist es unangenehm. Auch Familie und Freunde wissen oft nicht, wie sie mit der Nachricht von einer schweren Diagnose umgehen sollen, können die Situation nicht akzeptieren, fühlen sich gestresst und äußern aus dieser Situation heraus vielleicht Dinge, die nicht unbedingt beruhigend oder unterstützend sind.

Art und Qualität sozialer Unterstützung können jedoch einen großen Unterschied für den Betroffenen machen, während dieser seinen Weg durch die Therapie und hoffentlich Richtung Genesung bewältigt. Einige Wissenschaftler vermuten, dass dies neben der psychologischen Neuausrichtung auch Outcome und Überleben verbessern kann.

Studie zeigt Wege, wie wir Krebskranke besser unterstützen können

Dr. Fiona Holland, Psychologin an der Universität Derby, hat viel Zeit damit verbracht, Krebsüberlebende zu befragen. Für eine im Oktober erschienene Publikation1 sprach sie mit jungen Brustkrebspatientinnen, die sich gegen eine Rekonstruktion nach Mastektomie entschieden hatten. Hauptaugenmerk war ein Thema, welches bis dahin von keiner Studie behandelt worden war: wie sich ihre Therapie-Entscheidungen auf ihre Beziehungen zu Partnern, Freunden und Angehörigen ausgewirkt haben. Einige Einsichten, was gute Kommunikation und Unterstützung ausmacht, hat sie bereits vorher in einem Blog veröffentlicht.2

Insgesamt berichteten die Frauen größtenteils positiv über den Grad der Unterstützung, die ihnen entgegengebracht wurde – jedoch kam zuweilen gut Gemeintes negativ an oder war sogar emotional belastend.

Beistand hat verschiedene Ebenen – einige wichtige Dos & Don'ts

Dr. Holland unterscheidet 3 hauptsächliche Arten von Unterstützung.
Die erste ist emotionaler Rückhalt, Empathie und Rückversicherung. Von den Frauen in der Studie fühlten sich diejenigen am meisten getragen, denen signalisiert wurde, dass die Menschen um sie herum sie unterstützen, egal welche Entscheidungen sie treffen.

Außenstehende sollten vermeiden, darüber zu sprechen, was sie tun würden, wären sie an der Stelle des Betroffenen – sind sie nicht. Nach einer Krebsdiagnose steht für denjenigen das Leben Kopf, er muss sich an eine neue Realität adaptieren und man kann als Außenstehender nicht einfach annehmen, dass man weiß, was für denjenigen das Richtige ist. Ebenso sollten die Nahestehenden nicht so emotional werden, dass der Krebskranke in die Situation kommt, die anderen trösten zu müssen.
Lieb gemeinte Kommentare von Kollegen bei Rückkehr zum Arbeitsplatz wie "du bist wieder ganz die Alte" können ebenfalls kontraproduktiv sein und demjenigen das Gefühl vermitteln, der harte Weg, den er hinter sich hat, werde nicht ernst genommen. Verlust der Haare oder einer Brust können das Selbstbild schwer erschüttern. Daher kann es helfen, sich darauf zu konzentrieren, wer derjenige ist, anstatt wie er aussieht.

Der zweite Bereich ist Unterstützung durch Bereitstellung von Informationen und Beratung. Nachdem dies das Terrain ist, in dem wir uns als Ärzte täglich bewegen, wollen wir das so stehen lassen.
Angehörige sollten den Patienten nicht ungefragt mit gegoogelten Informationen überhäufen – manche Patienten wollen ihre Wahrscheinlichkeiten, Statistiken und Rezidivraten nicht wissen. Sie sollten demjenigen die Möglichkeit geben, die Dinge zu besprechen, wenn der Betroffene (und sie selbst) bereit dafür sind.

Die dritte Ebene ist Hilfe bei täglichen Aufgaben. Hier sind wieder Angehörige und Freunde gefragt – sei es beim Kochen, Einkaufen, den Hund ausführen, Aufräumen, zu Arztterminen fahren oder Kinderbetreuung. Der letzte Punkt war einigen Patientinnen in der Studie besonders wichtig: zu wissen, dass die Kinder ein Gefühl von Normalität um sie herum behalten und sie sich unterdes mehr um ihre eigenen Bedürfnisse kümmern können. Man sollte die Krebskranken fragen, ob sie sich in diesem Bereich Unterstützung wünschen, aber nicht automatisch davon ausgehen, dass sie das möchten.

Die Kunst des Hinhörens ist ein Teil der Kunst des Gesprächs

Das Gleichgewicht zwischen den genannten Arten von Hilfe ist dabei sehr wichtig. Immer wieder kann es vorkommen, dass das eigene Unbehagen des Arztes oder Zeitdruck dazu führen, zu wenige offene Fragen zu stellen und nur die Fakten und Informationen (bspw. zu notwendigen diagnostischen und therapeutischen Schritten) wiederzugeben, ohne die Antworten auf den Patienten und seine Emotionen zu individualisieren oder anderweitige Unterstützung anzubieten.
Auch ein Blick in Patientenforen zeigt, dass die reinen Informationen im ersten Schock oft gar nicht aufgenommen werden können und dass vielmehr die weichen Faktoren ausschlaggebend dafür sind, ob das Gespräch Rückversicherung und Hoffnung gibt oder der Patient sich einfach nur überfahren und alleingelassen fühlt. Nahestehende können hier auch helfen, indem sie den Patienten zu einem Arztgespräch begleiten und Notizen machen, sodass dieser das Gesagte später erinnern und noch einmal in Ruhe bedenken kann.

Laut Dr. Holland kann es sehr hilfreich sein, Menschen nicht als das zu sehen, was das äußere Erscheinungsbild uns glauben lässt. Zum Abschluss möchten wir Ihnen einen passenden Auszug aus einem Text von Charles C. Finn mitgeben:
"Bitte höre sorgfältig hin und versuche zu hören, was ich nicht sage, was ich so gerne sagen möchte, was ich um des Überlebens willen rede und was ich nicht sagen kann. Ich verabscheue dieses Versteckspiel, das ich da aufführe. Es ist ein oberflächliches, unechtes Spiel. [...]
Wer ich bin, willst du wissen?
Ich bin jemand, den du sehr gut kennst. Denn ich bin jedermann, den du triffst, jeder Mann und jede Frau, die Dir begegnen."3,4

Referenzen:
Überschrift nach dem Gedicht "Please Hear What I'm Not Saying" von Charles C. Finn, September 1966, übersetzt von Tobias Brocher
1. Archer, S., Holland, F. G. & Montague, J. ‘Do you mean I’m not whole?’: Exploring the role of support in women’s experiences of mastectomy without reconstruction. J Health Psychol 23, 1598–1609 (2018).
2. What to say and do when someone has cancer (Fiona Holland). epgonline.org Available at: https://www.epgonline.org/uk/blogs/post/what-to-say-and-do-when-someone-has-cancer.html. (Accessed: 11th November 2018)
3. Please Hear What I’m Not Saying. Charles C. Finn Available at: https://poetrybycharlescfinn.com/pages/please-hear-what-im-not-saying. (Accessed: 11th November 2018)
4. Die Maske (übersetzt von Tobias Brocher). Available at: http://www.deanita.de/karneval/karn6.htm. (Accessed: 11th November 2018)