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Ältere Patienten in (onkologischen) Studien deutlich unterrepräsentiert

Nicht alt, nur älter: warum das Alter mehr Aufmerksamkeit in Forschung und Behandlung braucht.

Nicht alt, nur älter: warum das Alter mehr Aufmerksamkeit in Forschung und Behandlung braucht.

Dieses Jahr ereignete sich eine "Premiere" in der globalen demographischen Entwicklung: die Zahl der über 65‑Jährigen überholte erstmals die Zahl der unter 5‑Jährigen. Die Häufigkeit zahlreicher Erkrankungen, so auch von Krebs, wird hochwahrscheinlich drastisch zunehmen.

Doch "ältere" Patienten sind in klinischen Studien deutlich unterrepräsentiert. Daten eines kürzlich zum ASCO-Kongress 2019 eingereichten Abstracts1 bestätigen dies: der Anteil der Patienten über 65 Jahren in Phase-III-Studien der letzten 10 Jahre lag bei 10-40%. Quelle waren 201 Studien zu drei häufigen soliden Tumoren und drei hämatologischen Neoplasien. So machten Patienten der Altersgruppe über 65 Jahren gerade einmal 15% der Studienteilnehmer zu Mammakarzinomen und 29% zu Kolonkarzinomen aus.

Die Übertragbarkeit der Resultate klinischer Studien an jüngeren Erwachsenen auf das in Wirklichkeit auch ältere Patientenkollektiv scheint fraglich.
Das Editorial der Juli-Ausgabe des Lancet Oncology diskutiert genau dieses Paradoxon, welches wir für Deutschland genauso aufgreifen müssen.2

Keine Studienlandschaft für alte (Krebs-) Patienten

Oft sind es Komorbiditäten, die den Einschluss von Patienten über 65 Jahren in onkologische Studien vereiteln. Doch neben klinischen, spielen auch nicht-klinische Faktoren eine Rolle. So zeigt eine spannende, aktuell im Journal of the American Medical Association veröffentlichte Untersuchung3, dass die Diskrepanz zwischen Studien- und realer Patientenwelt hinsichtlich der Alterszusammensetzung bei industriefinanzierten Studien und Studien zu "targeted therapies" größer ist als bei unabhängigen. Ein Bias, der positivere Studienergebnisse fördern könnte. Die Daten stammen von mehr als 263.000 Patienten aus 302 randomisierten klinischen Studien. Insgesamt waren auch hier die Studienpopulationen signifikant jünger als die typischen Patientenpopulationen (geordnet nach Erkrankungslokalisation).

Der Effekt des "gesunden Freiwilligen"

Zu der Altersgrenze kommt – so argumentiert das Editorial – bei der Mehrheit der Studien der Effekt hinzu, dass Studienteilnehmer oft fitter sind und weniger Begleiterkrankungen aufweisen als die Allgemeinbevölkerung – auch wenn es sich um Krebspatienten handelt. Solche Patienten können zuweilen auch besser ausgebildet und von höherem sozioökonomischem Status sein.
Auch das Editorial des Lancet stellt die Frage: "Wenn Patienten für Studienteilnahmen so stringent selektiert werden, sind die Studienpopulationen dann noch repräsentativ?"

Im Blog vergangener Woche ging es um das Problem der steigenden Inzidenzen kolorektaler Karzinome bei jüngeren Erwachsenen. Der durchschnittliche Erkrankungsbeginn liegt für Männer bei 68 Jahren und für Frauen bei 72 Jahren. Die häufig gezogene obere Grenze von 65 Jahren kann also zum Ausschluss vieler diagnostizierter Fälle führen. Zurück bleibt eine atypische Population mit früherem Erkrankungsbeginn – und möglicherweise auch aggressiveren Verläufen. In solchen Populationen entwickelte Therapien könnten für ältere Patienten ungeeignet sein. Die Lösung wäre denkbar einfach: Einschlusskriterien für Studien das Alter betreffend sollten abhängig von der Tumorentität sein.

Biologisches versus kalendarisches Alter

Kliniker berücksichtigen bei ihren Entscheidungen zunehmend, dass das numerische Alter kein zuverlässiger Anhaltspunkt für den Gesundheitszustand eines Patienten ist. Geriatrische Assessment Werkzeuge zur Beurteilung des funktionellen Alters oder auf die Bedürfnisse dieser Population fokussierte Leitlinien können hier hilfreich sein, wie bspw. die der International Society of Geriatric Oncology.

Leicht werden Menschen jenseits eines gewissen Alters per se als schwach oder gebrechlich wahrgenommen. Doch Krankheiten und starker körperlicher oder geistiger Verfall dürften eigentlich keine "normalen" oder zwingenden Begleiterscheinungen des Alterns sein. 

Referenzen:
1. Swathi Gopishetty, Vamsi Kota, Achuta Kumar Guddati; Navicent Health, Macon, GA; Winship Cancer Institute of Emory University, Atlanta, GA; SUNY Downstate Medical Center, Brooklyn. Analysis of proportion of geriatric patients in phase III cancer clinical trials. Meeting Abstracts Available at: http://abstracts.asco.org/239/AbstView_239_266701.html. (Accessed: 6th July 2019)
2. Oncology, T. L. Not old, just older: considering age in cancer care. The Lancet Oncology 20, 887 (2019).
3. Ludmir, E. B. et al. Factors Associated With Age Disparities Among Cancer Clinical Trial Participants. JAMA Oncol (2019). doi:10.1001/jamaoncol.2019.2055