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Stress heute als Nährboden für neurodegenerative Erkrankungen morgen

Stressbedingte Störungen, insbesondere emotionale Extremsituationen, erhöhen das Risiko für spätere neurodegenerative Störungen wie M. Alzheimer.

Stressbedingte Störungen, insbesondere emotionale Extremsituationen, erhöhen das Risiko für spätere neurodegenerative Störungen wie M. Alzheimer.

Stress könnte lebenslängliche Auswirkungen auf die Gehirngesundheit haben. Eine kürzlich im Journal of the American Medical Association erschienene Studie liefert neue Hinweise für diesen Zusammenhang.1 Mithilfe von schwedischen Registerdaten wurden 61,7 Tsd. Menschen mit einer Diagnose einer stressbedingten Erkrankung (posttraumatische Belastungsstörung, akute Stressreaktion, Anpassungsstörung und weitere) und 595 Tsd. nicht exponierte Menschen für bis zu 10 Jahre nachbeobachtet. Exponierte Menschen waren später bedeutend häufiger von neurodegenerativen Erkrankungen betroffen, insbesondere von vaskulären neurodegenerativen Störungen (80% häufiger). Dies legt eine Assoziation stressbedingter Störungen mit dem späteren Risiko nahe, möglicherweise über einen cerebrovaskulären Signalweg. Ein statistisch signifikanter Zusammenhang ergab sich auch für M. Alzheimer, hier betrug der Risikoanstieg 36%.

Stress macht krank und vergesslich

Die oben genannte Analyse beschränkte sich auf Menschen mit einer Diagnose einer stressbedingten Störung, doch auch zu emotionalem Stress ohne eine solche Diagnose gibt es ähnliche Signale. Die Universität Göteborg publizierte bereits vor einigen Jahren eine Studie, die 1.415 Frauen für 35 Jahre nachverfolgt hatte.2,3 Diejenigen, die in ihrer Lebensmitte kontinuierliche psychische Belastungen angegeben hatten, erkrankten im Alter etwa 65% häufiger an Demenz, vor allem an M. Alzheimer. Bei denen, die über mehrere Jahre Krisen durchlebt hatten, war das Risiko mehr als verdoppelt im Vergleich zu nicht Betroffenen.

Tod oder Erkrankung einer nahestehenden Person, schwierige Trennungen, Geldsorgen oder Stress auf Arbeit: emotionale Traumen können jeden treffen und sind kaum zu vermeiden. Doch die Langzeitauswirkungen sind von vielen Faktoren abhängig, die modifizierbar sind. Soziale Kontakte, körperliche Aktivität, Achtsamkeitspraktiken und professionelle Unterstützung gehören zu den basalen, aber noch immer zu wenig genutzten Wegen, um belastende Situationen besser zu verarbeiten oder Betroffenen aus einer depressiven Phase herauszuhelfen. Während kurzzeitige Stressantworten durchaus nützlich sind, wenn sie der erfolgreichen Anpassung und Bewältigung dienen, haben Dauerstress und Depressionen schädliche Effekte. Auch der Hippocampus ist empfindlich auf Stress und seine Betroffenheit vom Verlauf stressbedingter Erkrankungsprozesse könnte die Ursache schwerer klinischer Ausfallerscheinungen sein, wie zum Beispiel Gedächtnisverlust.4

Gehirngesundheit muss priorisiert werden

Das Editorial des aktuellen Lancet Neurology kommentiert die aktuellen Verhandlungen zur EU‑Budgetierung 2021–27 mit dem Hinweis, dass die Prävention und Versorgung neurologischer Erkrankungen priorisiert werden müsse.5 Europäer haben von allen Kontinenten die höchste Lebenserwartung, doch die Alterung der Bevölkerung geht mit einem stetigen Anstieg neurologischer Erkrankungen einher, die ein ohnehin schon überlastetes Gesundheits- und Sozialsystem enorm beanspruchen. Neurologische Störungen sind der häufigste Grund für Behinderung weltweit und die zweithäufigste Todesursache.
Gesund anstatt nur länger alt zu werden, ist der Wunsch der meisten Menschen, den jedes politische System unterstützen könnte und der sich unterm Strich auch finanziell rechnen würde (z. B. würden die Vorteile die Kosten öffentlicher Ausgaben übersteigen).

Referenzen:
1. Song, H. et al. Association of Stress-Related Disorders With Subsequent Neurodegenerative Diseases. JAMA Neurol (2020) doi:10.1001/jamaneurol.2020.0117.
2. Mattsson, L. Stress in middle age could contribute to late life dementia - University of Gothenburg, Sweden. Göteborgs universitet http://sahlgrenska.gu.se/english/research/news-events/news-article//stress-in-middle-age-could-contribute-to-late-life-dementia.cid944814.
3. Johansson, L. et al. Midlife psychological stress and risk of dementia: a 35-year longitudinal population study. Brain 133, 2217–2224 (2010).
4. Esch, T., Stefano, G. B., Fricchione, G. L. & Benson, H. The role of stress in neurodegenerative diseases and mental disorders. Neuro Endocrinol. Lett. 23, 199–208 (2002).
5. Neurology, T. L. A radical proposal for the EU budget: brain health. The Lancet Neurology 19, 279 (2020).