Gehirn reagiert auf Krisen wie auf COVID-Infektion Logo of esanum https://www.esanum.de

Sterile Neuroinflammation oder "das Krisenhirn"

Die Corona-Pandemie hat auch die kognitive Gesundheit derer beeinträchtigt, die nie an COVID erkrankten. Nach Lockdowns zeigte sich eine Entzündung im Gehirn, die zu Müdigkeit, Konzentrationsschwäche und Depressionen beiträgt.

Forscher untersuchten Gehirn vor und nach den Lockdowns 

Die Coronakrise hat den Lebensstil, das Sozialleben und andere Bereiche erschüttert und das Leben eines großen Teils der Weltbevölkerung auf vielfältige Weise beeinträchtigt. So zeigen beispielsweise verhaltenswissenschaftliche Daten, dass der Schweregrad und die Prävalenz von Symptomen psychischer Belastung erheblich zugenommen haben. Ebenso wurde über eine erhöhte Häufigkeit von Fatigue, Kognitionsstörungen ("brain fog") und anderen “´"sickness behaviour"-artigen Symptomen (einem immunvermittelten Krankheitsgefühl) berichtet, auch bei Nichtinfizierten.

All dies könne Zeichen einer stressbedingten Dysregulierung neuroimmuner Mechanismen auch bei nicht infizierten Personen sein, schließen Forscher des Massachusetts General Hospital, die gesunde Erwachsene mit negativem Test auf COVID-19-Antikörper vor und nach dem Lockdown 2020 auf Neuroinflammation untersuchten.1,2

Stressige Ereignisse können mit Inflammation einhergehen

Die Wissenschaftler führten PET/ MR-Spektroskopie-Bildgebungen, Blutentnahmen, Transkriptomanalysen und Verhaltenstests bei Erwachsenen durch, die als Kontrollpersonen in verschiedene klinische Studien eingeschlossen waren.

Im Vergleich zu vor dem Lockdown (n = 57) fielen in den Datensätzen nach dem Lockdown (n = 15) im Gehirn signifikant erhöhte Konzentrationen von Translokatorprotein (TSPO) und Myoinositol auf, zwei Markern für Neuroinflammation. Auch die peripheren Serumspiegel von zwei Entzündungsmediatoren, Interleukin-16 und Monozyten-Chemoattractant-Protein-1, waren bei den Teilnehmern nach dem Lockdown erhöht, allerdings fiel hier die Veränderung nicht so deutlich aus.

Personen, die über eine stärkere Symptomlast berichteten, wiesen höhere Konzentrationen des Translokatorproteins speziell im Hippocampus (Stimmungsschwankungen, mentale Erschöpfung), im intraparietalen Sulcus und im Precuneus (körperliche Abgeschlagenheit) auf als diejenigen, die keine oder wenig solche Symptome beklagten. Darüber hinaus korrelierten die höheren Translokatorprotein-Werte nach dem Lockdown mit der Expression mehrerer Gene, die an der Immunfunktionen beteiligt sind. 

Entwicklung von Interventionen bei vielen stressbedingten Störungen

Diese Beobachtungen stehen im Einklang mit denen früherer Humanstudien. Es gibt konsistente Evidenz dafür, dass zahlreiche psychosoziale Stressfaktoren zu erhöhter mikroglialer Aktivität führen.3 Die Überaktivierung des neuroimmunen Systems, insbesondere die Überproduktion von proinflammatorischen Mediatoren und Zytotoxinen, kann zu Zellschäden und zu Verlust oder Verringerung der Nervenzellaktivitäten führen. Synaptische Verbindungen werden hierbei übermäßig reduziert, was erwiesenermaßen zur Entwicklung von angst- und depressionsähnlichen Zuständen beiträgt.4 Insbesondere soziale Isolation (ein Zustand, den viele Menschen während der Pandemie erlebten) ist als Auslöser für Gliazell-Hyperaktivierung und Immunfehlregulation beschrieben.3,4

Analog zu den viral vermittelten, gehen solche "sterilen" Formen von neuronalen Entzündungen mit einer als "sickness behaviour" bezeichneten Konstellation von Symptomen einher, darunter Erschöpfungszustände, depressive Symptome sowie sozialer Rückzug. Im Sinne einer "two-hit" (Zweischritt)-Hypothese gehen einige Forscher auch davon aus, dass Stressoren früher im Leben ein Priming der Mikroglia hinterlassen, was zu einer Potenzierung der Reaktionen auf später folgende Stressfaktoren führt.3

Viele Studien der letzten Jahre kommen daher zu dem Schluss, dass der (Neuro-)Inflammation eine zentrale Rolle bei der Entstehung von kognitiven und affektiven Störungen zukommt, was multimodale, medikamentöse und nicht-medikamentöse Therapieansätze (z. B. Sport) unterstützt.

Weitere Informationen zu Reaktionen des Gehirns

Referenzen:
1. Are pandemic-related stressors impacting uninfected people’s brain health? EurekAlert! https://www.eurekalert.org/news-releases/944194.
2. Brusaferri, L. et al. The pandemic brain: Neuroinflammation in non-infected individuals during the COVID-19 pandemic. Brain, Behavior, and Immunity 102, 89–97 (2022).
3. Calcia, M. A. et al. Stress and neuroinflammation: a systematic review of the effects of stress on microglia and the implications for mental illness. Psychopharmacology (Berl) 233, 1637–1650 (2016).
4. Stein, D. J., Vasconcelos, M. F., Albrechet-Souza, L., Ceresér, K. M. M. & de Almeida, R. M. M. Microglial Over-Activation by Social Defeat Stress Contributes to Anxiety- and Depressive-Like Behaviors. Front Behav Neurosci 11, 207 (2017).