Zum Kongress des European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS) wurden zwischen dem 10. und dem 12. Oktober 2018 viele spannende Arbeiten präsentiert, aus denen wir Wichtiges mitnehmen können. Eine kleine Auswahl.
In einer Phase‑II-Studie wurden 445 Patienten mit sekundär progredienter MS für 96 Wochen zu Placebo, Amilorid, Fluoxetin oder Riluzol randomisiert. Diese Substanzen sind für andere Indikationen zugelassen und greifen in jeweils unterschiedliche Signalwege ein, von denen angenommen wird, dass sie auch eine Rolle für den Progress bei MS spielen. Leider erbrachte keines der Medikamente eine Verzögerung der Hirnatrophie oder anderen bedeutsamen Nutzen.1
Für Patienten mit progressiver MS stehen derzeit nur wenige Therapieoptionen zur Verfügung. Mehrarmige Versuchsplanungen wie diese könnten deutlich schnellere Einschätzungen potenzieller Therapien erlauben.
Patienten mit schubförmiger MS, die unter Erstlinientherapie mit Interferonen, Glatirameracetat, Dimethylfumarat oder Teriflunomid Rezidive haben, profitieren möglicherweise von einer Therapieumstellung. Direkte Vergleiche zwischen Natalizumab und Fingolimod in diesem Setting fehlten bisher.
Am ersten Kongresstag wurden Ergebnisse einer großen Vergleichsstudie präsentiert. Ein Wechsel auf Natalizumab führte im Vergleich zu Fingolimod zu einer signifikant niedrigeren jährlichen Rückfallrate und einer höheren bestätigten Behinderungsverbesserung (CDI, confirmed disability improvement). Das rezidivfreie Intervall war in bestimmten Subgruppen unter Natalizumab ebenfalls länger.2,3
Daten der 'MS-SPI'-Studie legen nahe, dass hoch konzentriertes orales Biotin (Vitamin B7) eine effektive Therapieoption bei progressiver MS darstellen könnte. Es verbesserte die Gehfähigkeit und kehrte Symptome der Behinderung bei 13 % der Patienten um.4
Ebenfalls spannend erschienen Ergebnisse einer prospektiven Studie, die erneut einen Zusammenhang zwischen höheren Serumkonzentrationen von Vitamin D und einem niedrigeren MS-Risiko zeigt. Die immunmodulatorischen Effekte von Vitamin D sind in Studien gut belegt. Diese Studie ist die vierte zu MS, die mit prospektiv gewonnenen Blutproben arbeitete.5
Eine weitere beim Kongress vorgestellte Arbeit am Mausmodell und an Zellen von MS‑Patienten lässt außerdem die Annahme zu, dass Vitamin D den therapeutischen Effekt von Glukokortikoiden bei MS steigert – über den Proteinkomplex mTORc1.6,7
Cladribin ist das erste orale krankheitsmodifizierende Medikament (DMD) zur Short-Course-Therapie bei Erwachsenen mit hochaktiver schubförmiger MS.8
Der Phase‑III-Studie 'CLARITY' zufolge reduzierte es die Anzahl schwerer Schübe über einen Zeitraum von 2 Jahren. Insgesamt war das relative Risiko für Rezidive gegenüber Placebo mehr als halbiert (RR 0,43; p = 0,0001). Auch das Risiko für Schübe, die einen Klinikaufenthalt (63 %) oder Steroide (62 %) erforderten, reduzierte sich. Das Alter bei Diagnose sowie Vortherapien mit DMDs beeinflussten hierbei das Auftreten von Rezidiven signifikant.9
Ebenfalls auf dem Kongress präsentierte Langzeit-Daten bestätigen auch das Sicherheitsprofil für Cladribin. Die neue gepoolte Analyse von Daten aus dem prospektiven Langzeit-Sicherheitsregister 'PREMIERE', den Studien 'ORACLE-MS', 'CLARITY' und deren Verlängerungsstudien berichtete keine neuen Sicherheitssignale für die Monotherapie mit Cladribin-Tabletten 3.5 mg/kg.10
Der CD52-Antikörper Alemtuzumab verbesserte bei Patienten mit therapierefraktärer MS über 3 Jahre (bis zu 7 Zyklen) den Grad der Behinderung. Er führte zu merklichen Verbesserungen bzw. Stabilisierung in Bildgebung sowie EDSS- und MSSS‑Scores.
Da es sich um eine sehr kleine, offene Studie handelte und Vorarbeiten bei fortgeschrittenen, behinderten Patienten einen geringeren Effekt beobachteten, wären weitere Studien nötig.11
Umsicht ist auch geboten, da Alemtuzumab sekundäre Autoimmunprozesse und zahlreiche schwere Nebenwirkungen auslösen kann.12,13
Es ist neben Fingolimod und Natalizumab eine Behandlungsoption für Patienten mit hochaktivem Verlauf einer schubförmig-remittierenden MS. Erst 2017 stieß eine Veröffentlichung im Lancet über zwei Patienten, die auf Alemtuzumab eine Verschlechterung ihrer MS-Symptomatik sowie fortschreitende ZNS-Inflammation durchmachten, nähere Untersuchungen an.14
Zwei europäische Studien konnten eine gute Wirksamkeit des in vielen Ländern bereits als Add-on zugelassenen Oromukosalsprays Sativex® bei mittleren und schweren Spastiken zeigen – und zwar bei MS-Patienten, die zuvor auf andere Medikamente nicht angesprochen hatten. Die Mehrheit der Patienten litt an einer aggressiven Verlaufsform und schwereren Spastiken; mit Schmerzen, Verlust der Mobilität, Schlaf- und Blasenstörungen.
Sativex® ist ein von GW Pharmaceuticals entwickelter Extrakt der Cannabis-sativa-Pflanze, dessen Hauptbestandteile THC und Cannabidiol (1:1) sind.
Eine dieser Studien läuft weiterhin und ist mit 1.650 Patienten aus 30 Zentren die bislang größte zu diesem Präparat.15
Referenzen:
1. Results Reported from Innovative “MS-SMART” Clinical Trial in Secondary Progressive MS Presented at. National Multiple Sclerosis Society Available at: http://www.nationalmssociety.org/About-the-Society/News/Results-Reported-from-Innovative-MS-SMART”-Clinic. (Accessed: 13th October 2018)
2. Switch to Tysabri Leads to Fewer Relapses Than Gilenya. Multiple Sclerosis News Today (2018). Available at: https://multiplesclerosisnewstoday.com/2018/10/10/ectrims2018-switching-to-tysabri-leads-to-fewer-relapses-and-disability-than-gilenya-study-in-rrms-patients-finds/. (Accessed: 13th October 2018)
3. Comparative effectiveness of switching to natalizumab or fingolimod after relapse on first-line relapsing-remitting multiple sclerosis therapy: propensity score matching analysis from the MSBase registry. Available at: http://www.professionalabstracts.com/ectrims2018/iplanner/#/presentation/285. (Accessed: 13th October 2018)
4. High-Dose Biotin May Be an Effective Treatment for Progressive MS. Neurology Advisor (2018). Available at: https://www.neurologyadvisor.com/ectrims-2018/high-dose-biotin-progressive-multiple-sclerosis-treatment/article/807137/. (Accessed: 13th October 2018)
5. Biobank Data Suggest Vitamin D Reduces Risk for Multiple Sclerosis. Neurology Advisor (2018). Available at: https://www.neurologyadvisor.com/ectrims-2018/multiple-sclerosis-risk-reduced-with-high-levels-of-vitamin-d/article/807148/. (Accessed: 13th October 2018)
6. Vitamin D augments glucocorticosteroid efficacy via inhibition of mTORc1. Available at: http://www.professionalabstracts.com/ectrims2018/iplanner/#/presentation/388. (Accessed: 13th October 2018)
7. In MS Relapses, Vitamin D May Aid Glucocorticosteroids. Multiple Sclerosis News Today (2018). Available at: https://multiplesclerosisnewstoday.com/2018/10/10/ectrims2018-vitamin-d-boosts-glucocorticosteroid-effects-ms-relapses-study/. (Accessed: 13th October 2018)
8. Deeks, E. D. Cladribine Tablets: A Review in Relapsing MS. CNS Drugs 32, 785–796 (2018).
9. Cladribine Tablets Reduce Relapses in Relapsing-Remitting Multiple Sclerosis. Neurology Advisor (2018). Available at: https://www.neurologyadvisor.com/ectrims-2018/multiple-sclerosis-relapse-risk-reduced-cladribine-tablets/article/806184/. (Accessed: 13th October 2018)
10. Serious Adverse Events Profile for Cladribine Confirmed With Extended Data. Neurology Advisor (2018). Available at: https://www.neurologyadvisor.com/ectrims-2018/cladribine-safety-profile-serious-adverse-events-data-multiple-sclerosis/article/806635/. (Accessed: 13th October 2018)
11. Alemtuzumab Improves Disability, Prognosis in Treatment-Refractory MS. Neurology Advisor (2018). Available at: https://www.neurologyadvisor.com/ectrims-2018/improving-disability-in-multiple-sclerosis-with-alemtuzumab/article/806955/. (Accessed: 13th October 2018)
12. Multiple-Sklerose: Alemtuzumab kann schwere Nebenwirkungen auslösen. Available at: https://www.dmsg.de/multiple-sklerose-news/ms-therapien/multiple-sklerose-alemtuzumab-kann-schwere-nebenwirkungen-ausloesen/. (Accessed: 13th October 2018)
13. DAZ.online (cel), C. M., Apothekerin, Redakteurin. Verschlechtert Alemtuzumab MS? DAZ.online (2017). Available at: https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2017/01/18/verschlechtert-alemtuzumab-eine-ms. (Accessed: 13th October 2018)
14. Haghikia, A. et al. Severe B-cell-mediated CNS disease secondary to alemtuzumab therapy. Lancet Neurol 16, 104–106 (2017).
15. For MS Spasticity, 2 EU Trials Show Efficacy of Sativex. Multiple Sclerosis News Today (2018). Available at: https://multiplesclerosisnewstoday.com/2018/10/11/ectrims2018-2-eu-trials-show-effectiveness-cannabidiol-spray-spasticity/ (Accessed: 13th October 2018).