Neue Strategien sind nötig, um mit der wachsenden Zahl zerebraler Erkrankungen umzugehen. Ein Programm hierzu wurde kürzlich auf dem EAN-Kongress präsentiert.
Laut Daten der Global Burden of Disease Study 2017 machen Erkrankungen des Gehirns heute allein 10% der weltweiten Krankheitslast aus.1 Mit zunehmender Lebenserwartung wächst auch die Zahl derer, die (immer länger) mit neurologischen Erkrankungen leben. Demenz als eine der häufigsten zerebralen Störungen betrifft bspw. etwa 50 Mio. Menschen weltweit, mit 10 Mio. Neuerkrankungen jährlich, davon entfallen 60–70% auf eine Alzheimer-Demenz. Schätzungen gehen davon aus, dass die Zahl bis 2030 auf 82 Mio. und bis 2050 auf 152 Mio. ansteigen wird.2
Vom 29. Juni bis 2. Juli 2019 fand in der norwegischen Hauptstadt Oslo der 5. Kongress der EAN (European Academy of Neurology) statt.
Dort präsentierte Frau Prof. Anne Hege Aamodt, Präsidentin der Norwegischen Gesellschaft für Neurologie (Norwegian Neurological Association), ein Konzept mit dem Namen "The Norwegian Brain Health Strategy 2018–2024".3
Dieses beinhaltet vier übergreifende Ziele:
Dazu führte sie aus: "Die Vorbeuge zerebraler Erkrankungen, die Bereitstellung gleichmäßiger Therapie, Nachbetreuung, und Rehabilitation sowie gesteigerte Forschung und Expertise sind absolut essentiell, um die Outcomes für Patienten zu optimieren."
Das Programm soll helfen, genau dies für zahlreiche Krankheitsbilder umzusetzen, darunter Demenzen, Multiple Sklerose, M. Parkinson und Apoplex.
Die Norwegische Gesellschaft für Neurologie und die Norwegische Gesundheitsdirektion arbeiten an der Realisierung der Ziele des Programms, welches als Vorlage für andere Länder dienen könnte, denn Norwegen ist das erste Land Europas, welches ein Programm dieser Art ins Leben ruft.
Hierzu gehört die Aufbringung von 20 Mio. € Fördermitteln für ein nationales klinisches Forschungszentrum, welches der klinischen Behandlung schwerer Erkrankungen wie MS, Demenz oder amyotropher Lateralsklerose (ALS) gewidmet ist. Auch der norwegische Forschungsrat (Norwegian Research Council) erhält zusätzliche 5 Mio. € zum Ausbau von Forschung und Innovation im Bereich neurologischer Erkrankungen.
Prof. Aamodt meint: "Wir glauben, dass dieses nationale Vorgehen nachgebildet und in anderen europäischen Ländern implementiert werden sollte, zugeschnitten auf das jeweilige Land. Der Kontinent wird bedeutende gesellschaftliche Veränderungen durchmachen - wie die Alterung der Bevölkerung – die eine Auswirkung auf zerebrale Erkrankungen mit sich bringen und die Gesundheitssysteme müssen sich auf diese Veränderungen einrichten."
Im Gefolge der Auflegung der "Norwegian Brain Health Strategy" rufen EAN und EFNA (European Federation of Neurological Associations) zu einem europaweiten Programm auf, um die öffentliche Wahrnehmung für zerebrale Erkrankungen zu steigern, Einfluss auf Regierungen zu nehmen und die neueste Wissenschaft anzuwenden, sodass Ergebnisse für Patienten und Gesellschaft verbessert werden.
Ein wichtiges Thema des Kongresses war die Krankheitslast durch Apoplex und Demenz. Weltweit anerkannter Stroke-Spezialist Prof. Vladimir Hachinski betonte, dass Schlaganfälle 42% der neurologischen Erkrankungen ausmachen (verglichen mit 10% für Demenzen) und dass viele Fälle von Demenz verhindert werden könnten, indem man Schlaganfällen vorbeugt. Einer aktuellen Studie im Lancet zufolge, die wir hier vorgestellt hatten, entwickelt etwa jeder Fünfte in den ersten 5 Jahren nach TIA oder Apoplex eine Demenz. Prof. Hachinski sagt: "Neurologische Erkrankungen stellen die führende Ursache für Lebensjahre mit Behinderung (DALYs) dar. [...] Die gute Nachricht ist, dass 90% der Schlaganfälle durch Kontrolle der Risikofaktoren potentiell vermeidbar sind." Apoplex und Demenz haben zahlreiche behandelbare Einflussfaktoren gemeinsam, darunter Bewegung, aktiver Lebensstil, gesunde Ernährung, normotensive Blutdrücke etc.
Die Suche nach einem Heilmittel für Alzheimer war die letzten 40 Jahre auf die Amyloid/ Tau-Hypothese fokussiert, doch dieser "eingleisige" Ansatz hat bisher darin versagt, auch nur einen krankheitsmodifizierenden Wirkstoff hervorzubringen, so Hachinski.3
Beim Plenar-Symposium des EAN-Kongresses vorgestellte Studien unterstreichen außerdem, dass die Mehrheit neurologischer Erkrankungen mit Neuroinflammation in Zusammenhang steht, auch solche, die vormals als nicht entzündlich angesehen wurden, wie Alzheimer, ALS, motorische Störungen, Apoplex, Migräne und Epilepsie. Hierzu kooperiert die EAN mit der Zeitschrift Nature, die nach Kongressende eine Sonderausgabe mit von verschiedenen Sprechern verfassten Artikeln zu dem übergreifenden Thema Neuroinflammation herausgegeben hat. Auf einige davon werden wir sicherlich hier oder im Journal Club Neurologie zurückkommen.
Referenzen:
1. James, S. L. et al. Global, regional, and national incidence, prevalence, and years lived with disability for 354 diseases and injuries for 195 countries and territories, 1990–2017: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2017. The Lancet 392, 1789–1858 (2018).
2. Dementia. Available at: https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/dementia. (Accessed: 23rd July 2019)
3. Press Room. Available at: https://www.ean.org/oslo2019/Press-Room.2661.0.html. (Accessed: 23rd July 2019)