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Nachlese vom ECTRIMS-Kongress – Teil 2

Hier die Fortsetzung unserer kleinen Auswahl von Highlights des 37. ECTRIMS-Kongresses.

Hier die Fortsetzung unserer kleinen Auswahl von Highlights des 37. ECTRIMS-Kongresses. 

Nach Teil I folgen heute einige weitere Neuigkeiten vom weltweit größten Kongress zur Multiplen Sklerose (MS).

SPMS: MRT-Aktivität ist sensitiveres Maß für die Krankheitsaktivität als Schübe

Patienten mit sekundär progredienter MS (SPMS) werden abhängig von Zeichen ihrer Krankheitsaktivität oft als aktiv (aSPMS) oder inaktiv (naSPMS) kategorisiert, doch die relative Rolle der MRT-Aktivität und/oder der Schübe zur Definition der Krankheitsaktivität war bislang nicht gut verstanden. Ob aSPMS und naSPMS sich gegenseitig ausschließen, wurde sowohl anhand von Real World-Daten aus dem 'Adelphi real-world MS Disease Specific Programme' (Adelphi MS DSP), als auch anhand klinischer Studiendaten der Phase-3-Studie 'EXPAND' untersucht.1,2

Selbst nach zwei Jahren ohne Schübe und ohne MRT-Aktivität zu Studienbeginn kehrte bei 52,7% der Patienten in 'EXPAND' mit zuvor „nicht aktiver“ MS unter Placebo die Krankheitsaktivität zurück (MRT-Aktivität bei 41,8 %, Schübe bei 4,6% und beides bei 9,2%).
Auch bei Erkrankten mit aSPMS aus der Real World-Kohorte wurde die Krankheitsaktivität deutlich häufiger per MRT detektiert als anhand von Schüben.
Über das vorangehende Jahr verglichen wiesen naSPMS-Patienten höhere EDSS-Werte auf als aSPMS-Patienten (4,6 vs. 5,2) und hatten seltener eine MRT-Bildgebung erhalten (58,7% vs. 87,7%). Ein größerer Anteil derjenigen mit naSPMS hatte eine mittlere bis hohe Erkrankungsschwere und stand unter keiner verlaufsmodifizierenden Therapie (45,1% vs. 23,4%).3

Nachdem also bei mehr als jedem zweiten naSPMS-Patienten in 'EXPAND' im Verlauf eine Krankheitsaktivität festzustellen war, resümierte Prof. Giovannoni von der Barts and The London School of Medicine and Dentistry, Queen-Mary-Universität London: "Die Häufigkeit der MRT-Verlaufskontrollen ist ausschlaggebend für die Erkennung der Krankheitsaktivität in dieser Population". Eine falsche Einstufung von Patienten als naSPMS könne zu einem reduzierten Monitoring führen und die Chance verringern, neue Krankheitsaktivität bei diesen Patienten zu erkennen und zu behandeln.1,2

In die Zukunft schauen: Was die kortikale Läsionslast bei Diagnosestellung über das Progressionsrisiko verraten könnte 

Die frühzeitige Erkennung von Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf ist gleichermaßen schwierig und wichtig. Eine anlässlich des Kongresses präsentierte Studie der Universität Verona kam zu dem Schluss, dass die Anzahl der kortikalen Läsionen zu Beginn der Erkrankung das Risiko für die Entwicklung einer SPMS vorhersagen kann sowie ein frühzeitiger Marker für die künftige Akkumulation von Behinderung (gemessen am EDSS) sein könnte.4
Patienten, die nach 20 Jahren Nachbeobachtungszeit eine SPMS entwickelt hatten, wiesen bei Studienbeginn etwa 7 kortikale Läsionen auf, signifikant mehr als Patienten mit klinisch isoliertem Syndrom (CIS), schubförmig remittierender MS (RRMS) oder primär progredienter MS (PPMS) zu Beginn der 20 Jahre.

Daten einer separaten Präsentation deuten überdies darauf hin, dass die kortikale Läsionslast bei Diagnose prädiktiv für die kognitive Beeinträchtigung 20 Jahre später ist. Das Risiko einer kognitiven Einschränkung war fast viermal so hoch, wenn bei Studienbeginn ≥ 3 kortikale Läsionen vorhanden waren.5

Schlafstörungen bei MS: Melatonin verbessert die Schlafdauer und die Schlafqualität 

Viele MS-Patienten leiden auch an Schlafstörungen. Die Ursachen sind mannigfaltig, darunter Läsionen und neuronale Schäden an für den Schlaf wichtigen Hirnstrukturen, aber auch MS-Symptome, durch die der Schlaf mittelbar gestört wird.
Frühere Arbeiten konnten als Folge von Kortikosteroid-Gaben erniedrigte Serumspiegel des Hormons Melatonin bei MS nachweisen, welches den Schlaf-Wach-Rhythmus reguliert. Andere Untersuchungen gehen davon aus, dass ein zunehmendes Versagen der Zirbeldrüse im Rahmen der MS-Pathogenese mit dem Nachlassen der Melatoninsekretion in Zusammenhang steht.
Auch weitere schlafbezogene Störungen sind häufig, so wurde bei 65% der MS-Patienten, die über Fatigue klagten, schließlich eine unerkannte Schlafapnoe aufgedeckt.6

Eine kleine doppelblinde, placebokontrollierte Studie ergab, dass der Einsatz des vergleichsweise kostengünstigen und breit verfügbaren Wirkstoffes Melatonin mit einer Verbesserung von Schlafstörungen und Schlafqualität einherging (gemessen an etablierten Scores wie dem PSQI oder ISI). Auf andere Outcomes war während des sehr kurzen Studienzeitraumes (2 Wochen Verum, 2 Wochen Placebo) kein Effekt nachweisbar, etwa auf Tagesschläfrigkeit, Stimmung oder Gehfähigkeit.6 Für eine klare Empfehlung sind größere Studien vonnöten.

Es ist nie zu spät, sein Leben durch Bewegung zu verbessern

Im allerersten Beitrag dieses Neurologie-Blogs, vor über drei Jahren, ging es um die mittlerweile gute Evidenzlage zu den positiven Effekten von Sport auf den MS-Erkrankungsverlauf und viele wichtige Parameter, von Mobilität und Behinderungsprogression über Fatigue und Depressionen hin zu Komorbiditäten, Lebensqualität, Läsionslast und Schubrate.

Einem Autorenteam um Prof. Ulrik Dalgas, PhD, von der Universität Aarhus in Dänemark fiel auf, dass sich von 70 Studien zu dem Thema keine mit Patienten innerhalb der ersten 5 Erkrankungsjahre befasst hatte, obwohl wir wissen, dass körperliche Defizite bereits sehr früh auftreten. Bewegung als Therapie bei MS hat das Potenzial, diesen physischen Auswirkungen entgegenzuwirken sowie das Risiko einer Erkrankungsprogression zu verringern, so die Kernbotschaft von Dalgas' Vortrag.

Neben eigenen Daten von Patienten in frühen Erkrankungsstadien zeigte er auch Arbeiten, aus denen protektive Effekte in der mittleren Phase der MS hervorgehen, wenn der Verlust des Gehirnvolumens voranschreitet und die Mobilität und andere Probleme zunehmen. So berichtet eine aktuelle Studie seines Teams über stabil bleibende Volumina der grauen Substanz unter aerobem Training, während das Volumen bei Wartelisten-Teilnehmern schrumpfte.7

Selbst bei Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung und hohen EDSS-Scores (zwischen 6,5 und 8), fand Dalgas' Arbeitsgruppe Hinweise dafür, dass verschiedene Belastbarkeits- und Gesundheitsparameter durch Übungen für den Oberkörper noch immer relevant verbessert werden können, auch wenn hier erst wenige Patienten untersucht wurden. Entsprechend angepasste Übungen und spezialisiertes Equipment sind in dieser Erkrankungsphase wichtig für die Sicherheit und Durchführbarkeit.  

Eine Auswertung zahlreicher Studien ergab, dass sich körperliche Aktivität positiv auf die Lebensqualität auswirkt, wobei der Zugewinn unabhängig von der Ausgangsbehinderung, der Erkrankungsdauer oder der Art des Trainings ist, so das Fazit.8

Hat diese kleine Auswahl von ECTRIMS-News Sie neugierig gemacht?

Jetzt, wo Sie ein wenig genauer wissen, was Sie verpasst haben, müssen Sie nicht traurig sein, wenn Sie die ein oder andere Veranstaltung doch gerne gehört und gesehen hätten. Denn hier können Sie sich noch immer anmelden und dies nachholen, sogar bis zum 4. Januar 2022.

Referenzen:
1. MRI more sensitive for disease activity than relapses in SPMS. Medical Conferences https://conferences.medicom-publishers.com/specialisation/neurology/ectrims-2021/mri-more-sensitive-for-disease-activity-than-relapses-in-spms/ (2021).
2. ECTRIMS 2021: In SPMS, MRI Activity Appears a More Sensitive Measure of Disease Activity Than Relapses. PracticeUpdate https://www.practiceupdate.com/content/ectrims-2021-in-spms-mri-activity-appears-a-more-sensitive-measure-of-disease-activity-than-relapses/125785.
3. Giovannoni G, et al. MRI activity versus relapses as markers of disease activity in SPMS: Data from real world and pivotal clinical studies. P001, ECTRIMS 2021, 13–15 Oct.
4. Cortical lesions predict risk for secondary progressive MS. https://www.mdedge.com/neurology/article/247456/multiple-sclerosis/cortical-lesions-predict-risk-secondary-progressive-ms.
5. Cortical lesions at diagnosis predict cognitive impairment 20 years later. Medical Conferences https://conferences.medicom-publishers.com/specialisation/neurology/ectrims-2021/cortical-lesions-at-diagnosis-predict-cognitive-impairment-20-years-later/ (2021).
6. Melatonin Improves Sleep in MS. Medscape http://www.medscape.com/viewarticle/960990.
7. Langeskov-Christensen, M. et al. Efficacy of High-Intensity Aerobic Exercise on Brain MRI Measures in Multiple Sclerosis. Neurology 96, e203–e213 (2021).
8. Exercise may help stall MS disability and progression. https://www.mdedge.com/neurology/article/247787/multiple-sclerosis/exercise-may-help-stall-ms-disability-and-progression.