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Jahreskongress 2019 der American Academy of Neurology (AAN)

Etwa 3.000 Abstracts wurden beim 71. AAN Annual Meeting unter dem Motto "Advancing Neurology, Advancing You" vom 4.‑10. Mai in Philadelphia vorgestellt. Mit über 14 Tsd. Teilnehmern schrieb der Kongress Geschichte. Hier einige exemplarische Highlights.

Etwa 3.000 Abstracts wurden beim 71. AAN Annual Meeting unter dem Motto "Advancing Neurology, Advancing You" vom 4.‑10. Mai in Philadelphia vorgestellt. Mit über 14 Tsd. Teilnehmern schrieb der Kongress Geschichte. Hier einige exemplarische Highlights.

Apoplex bei Vorhofflimmern (VHF): Trends in der Antikoagulation

Beim ischämischen Apoplex aufgrund von VHF enthalten die Leitlinien teils schwammige Empfehlungen zu Zeitpunkt und Wahl des Antikoagulans. Über einen internetbasierten Fragebogen wurden daher alle auf Stroke spezialisierten Neurologen der USA um ihre Einschätzung zu Fall-Szenarien gebeten. Diese zeigten ischämische Apoplexe unterschiedlicher Schweregrade mit hämorrhagischer Transformation (HT) aufgrund von nicht-valvulärem paroxysmalem VHF.
Bei Patienten mit kleinem ischämischem Apoplex (< 1/3 des Mediastromgebietes) antworteten nur 24%, dass sie innerhalb von 48 h nach Symptombeginn mit einer Antikoagulation beginnen würden, während 80% nach 7 Tagen antikoagulierten.
Mit steigender Apoplex-Schwere (mehr als die Hälfte des Mediastromgebietes) entschieden sich nur 29% innerhalb der ersten 7 Tage für eine Antikoagulation, 48% warteten 7-14 Tage und 23% mehr als 14 Tage (einige forderten vor Antikoagulation eine Bildgebung).
Eine asymptomatische HT beeinträchtigte den Zeitpunkt für die Antikoagulation nicht merklich, aber bei symptomatischer HT warteten 79% mehr als 14 Tage.
DOAKs (direkte orale Antikoagulantien) waren die meist gewählte Option (62%) und niedriges Blutungsrisiko, Bezahlbarkeit/ Kosten und Verfügbarkeit spezifischer Antidote zur Reversion der Wirkung waren die am häufigsten genannten Gründe. Bei nicht für eine Antikoagulation geeigneten Patienten wurde Aspirin bevorzugt (57%).1

Bonus zum Thema: eine andere auf dem Kongress vorgestellte Studie zeigte, dass abdominale Fettleibigkeit, gemessen an einer erhöhten Waist-To-Hip-Ratio (WHR), mit einem erhöhten Risiko für ischämischen Apoplex einhergeht und, dass die WHR das Schlaganfall-Risiko genauer vorhersagen könnte als der BMI.2

Wirksamkeit unterschiedlicher Ernährungstherapien bei pharmakoresistenten Epilepsien im Kindesalter

Wissenschaftler in Indien untersuchten über die letzten 12 Jahre die Effektivität diätetischer Therapien und die Rolle von Biomarkern wie β‑Hydroxybutyrat, Darmbakterien, glykiertem Hämoglobin und mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Die Ergebnisse von 9 Studien (davon 6 randomisierte, kontrollierte) legen nahe, dass die ketogene Diät (KD) die effektivste ist, doch dass die modifizierte Atkins-Diät (MAD) und die Low Glycemic Index-Therapie (LGIT) ebenfalls wirksam, besser verträglich und weniger restriktiv sind.3

THC und CBD reduzieren wirksam schwere Spastiken bei therapierefraktärer Multipler Sklerose (MS)

Daten einer großen Population italienischer Patienten unterstreichen die Langzeit-Effektivität von THC und CBD (Tetrahydrocannabinol und Cannabidiol) bei MS-assoziierten Spastiken, die nicht auf andere Medikamente ansprechen.
Nach einem Monat verzeichneten 81% der 1.845 Patienten eine mehr als 20‑prozentige Verbesserung auf einer numerischen Rating-Skala für Spastiken und 40% erreichten eine mehr als 30‑prozentige Verbesserung. Die durchschnittliche Abnahme der Spastik-Scores betrug 29% nach einem Monat und 37% nach 18 Monaten.4

Highlights anderer Konferenzen beim AAN vorgestellt

Auf anderen Kongressen vorgestellte Ergebnisse klinischer Studien, die für die Patientenversorgung relevant sind, wurden in einer Plenarsitzung präsentiert.

  • So bspw. die 'SPRINT MIND'-Studie, die den Nutzen einer strengen Blutdruck-Einstellung zur Reduzierung von Demenz und kognitiven Einschränkungen untersuchte. Für Patienten mit MCI (milder kognitiver Beeinträchtigung) war zwar eine 15‑prozentige Risikoreduktion unter aggressiver Blutdruck-Therapie (Zielbereich < 120 mm Hg versus < 140 mm Hg) zu beobachten, doch bei hypertensiven Patienten mit wahrscheinlicher Demenz ergab sich kein signifikanter Unterschied.5
  • In einer doppelblinden, randomisierten, placebokontrollierten Phase‑III-Studie konnte gezeigt werden, dass Inebilizumab bei Patienten mit Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) das Risiko für Rezidive um 77% reduziert. Es bindet mit hoher Affinität an CD19, was zur raschen Dezimierung von B‑Zellen führt, darunter Autoantikörper-freisetzende Plasmablasten und CD19-exprimierende Plasmazellen. Der monoklonale Antikörper erhielt im April 2019 von der FDA den Status einer 'Breakthrough'-Therapie für NMOSD.5,6
  • Eine nordamerikanische Studie untersuchte, ob die prähospitale Gabe von 2g Tranexamsäure (TXA) beim Schädel-Hirn-Trauma für bessere funktionelle neurologische Langzeitergebnisse sorgt. Dem war jedoch nicht so und auch das Fortschreiten intrazerebraler Blutungen wurde dadurch nicht gesenkt. Jedoch war das 28‑Tage-Überleben im Vergleich zu Placebo nach TXA besser.5
  • Isradipin, welches als potentiell krankheitsmodifizierendes Medikament gehandelt wird, konnte in einer Phase‑III-Studie an Patienten mit frühem M. Parkinson den Fortschritt der Behinderung leider nicht bremsen und verfehlte damit den primären Endpunkt.5
  • Spannend war noch die Phase‑III-Studie 'REVERSE', die eine neue Gentherapie an Patienten mit Leberscher hereditärer Optikus-Neuropathie (LHON) untersuchte. Der Gentherapie-Vector GS010 kodiert für das Wildtyp-Gen des ND4‑Proteins, welches bei LHON mutiert ist.7
    Patienten erhielten intraokuläre Injektionen mit GS010 oder Placebo. Bei beiden waren nach 72 Wochen Behandlung Verbesserungen der Sehkraft nachweisbar, jedoch hatten mit GS010 behandelte Augen eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit, über der gesetzlichen Schwelle für Blindheit zu liegen (OR 4,1 ; p = 0,0012). Dies führte die Autoren zu der Frage, ob es einen bilateralen Effekt einer unilateralen Behandlung geben kann oder ob es ein Placebo-Effekt ist oder ob der natürliche Verlauf von LHON doch besser ist, als wir dachten.
    Die häufigsten UAWs waren okuläre Entzündung und Uveitis (89% unter GS010 vs. 8% unter Placebo) und Erhöhung des Augeninnendrucks (27% vs. 3%).
    Ergebnisse einer anderen Studie ('RESCUE') werden demnächst veröffentlicht und zwei weitere laufen derzeit ('REALITY', 'REFLECT').5

So gab es auch in diesem Jahr wieder viel Neues zu berichten und wir hoffen, dass unsere kleine Auswahl auch für Sie interessant war!

Referenzen:
1. May 7, Disease, 2019 | Alzheimer’s, Articles & Psychiatry | 0 |. Conference Highlights: AAN 2019 | Physician’s Weekly. Available at: https://www.physiciansweekly.com/conference-highlights-aan-2019/. (Accessed: 12th May 2019)
2. Abdominal Obesity Associated With Increased Risk for Ischemic Stroke. Neurology Advisor (2019). Available at: https://www.neurologyadvisor.com/conference-highlights/aan-2019-conference/abdominal-obesity-associated-with-increased-risk-for-ischemic-stroke/. (Accessed: 12th May 2019)
3. Efficacy of Dietary Therapies in Childhood Drug-Resistant Epilepsy. Neurology Advisor (2019). Available at: https://www.neurologyadvisor.com/conference-highlights/aan-2019-conference/efficacy-of-dietary-therapies-in-childhood-drug-resistant-epilepsy/. (Accessed: 12th May 2019)
4. THC:CBD Effectively Reduces Severe Spasticity in Treatment-Resistant MS. Neurology Advisor (2019). Available at: https://www.neurologyadvisor.com/conference-highlights/aan-2019-conference/thccbd-effectively-reduces-severe-spasticity-in-treatment-resistant-ms/. (Accessed: 12th May 2019)
5. AAN 2019 Plenary Session Highlights Research With Implications for Patient Care From Multiple Society Meetings. Neurology Advisor (2019). Available at: https://www.neurologyadvisor.com/uncategorized/aan-2019-plenary-session-highlights-research-with-implications-for-patient-care-from-multiple-society-meetings/. (Accessed: 12th May 2019)
6. Breakthrough Therapy Status Granted to Inebilizumab for Neuromyelitis Optica Spectrum Disorder. Neurology Advisor (2019). Available at: https://www.neurologyadvisor.com/topics/general-neurology/novel-treatment-for-neuromyelitis-optica-spectrum-disorder-gets-breakthrough-status-from-fda/. (Accessed: 12th May 2019)
7. GS010 for LHON – GenSight Biologics. Available at: https://www.gensight-biologics.com/product/gs010-for-lhon/?cn-reloaded=1. (Accessed: 12th May 2019)