Chronischer Stress führt zur übermäßigen Freisetzung von proinflammatorischen Zytokinen, welche die Funktion des Nerven- und Immunsystems beeinflussen. In einer Welt, in der Stress kaum vermeidbar ist, sind mehr Menschen denn je von den Folgesymptomen betroffen.
Im ersten Teil dieses Beitrages ging es um den Zusammenhang zwischen Stress, Inflammation und Ängsten.
Wenn der Körper chronisch von Stresshormonen geflutet ist, kann reihum jedes Organsystem reagieren und verschiedenste Symptome hervorrufen. Dr. Hanscom, ein amerikanischer Chirurg, der sich aus eigener Erkrankung heraus jahrelang mit dem Thema beschäftigte, kam zu dem Schluss, dass Panikattacken und Ängsten oft ein inflammatorisches Milieu im Körper vorausgeht, welches durch diese Stressachse entsteht. "Angst ist eine physiologische Reaktion auf eine Bedrohung. [...] Wenn Ihr Körper entzündet ist, werden Sie sich ängstlich fühlen."1 Ein wichtiger Schritt heraus aus dem, was wir im letzten Beitrag unter dem Begriff der neurophysiologischen Störung subsummiert hatten, bestand für ihn selbst und für viele seiner Patienten darin, Ängste zu reduzieren, die damit verbundenen Mediatoren zu reduzieren, die Stressreaktion zu reduzieren.
Realistisch ist es nicht möglich, ein Leben zu führen, welches komplett frei von psychischen Belastungen ist. Der Versuch, jedwedem Stress auszuweichen, kann sogar ein eigener Stressor werden. Was also können wir tun, um trotz allem, was tagtäglich auf uns einstürmt, die Stresshormonbelastung zu senken?
Hier in Kurzform 10 Ansätze, die Dr. Hanscom vorschlägt:2
Wichtig ist dabei, die Modalitäten parallel anzugehen: Schlaf, Stress, Medikamente, Ernährung, mentale Lebenseinstellung und körperliche Kondition. Zuweilen sagen Patienten vielleicht: "Ich war bei der Physiotherapie und es hat mir nicht geholfen" oder "Ich habe Yoga probiert und es funktioniert nicht." Etwas hilft zu einem bestimmten Prozentsatz, aber wenn andere wichtige Komponenten nicht normalisiert sind, wird es nicht funktionieren. Für Dr. Hanscom ist Schlaf klar das Wichtigste: "Das ganze Projekt ist null und nichtig, wenn Sie nicht schlafen." Das ist natürlich einfacher gesagt, als getan. Jemand, der ernstlich gestresst ist, wird nicht gut schlafen. Dr. Hanscom arbeitet zuweilen für eine begrenzte Zeit zu Beginn mit einfachen Medikamenten. Strategien, die den Vagusnerv aktivieren, sind oft sehr effektvoll, weil dieser einen Entspannungszustand einleitet und inflammatorische Marker senkt.3 Darüber gibt es inzwischen so viel Material, dass es hier und heute den Rahmen sprengen würde. Das erste Buch, was bei mir diesbezüglich einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, war "Der Selbstheilungsnerv" von Stanley Rosenberg.
Dr. Hanscom erinnert auch daran, dass die Arbeit an Wut- oder Angstproblemen ein langfristiger Prozess sein kann. Ein altes Problem kann jederzeit getriggert werden, und wenn es nicht zeitnah bearbeitet wird, können die Beschwerden, in seinem Fall einst eine Schmerzsymptomatik, zusammen mit der Wut und den Ängsten zurückkehren.3
Oft werden die Patienten selbst überrascht von dem, was zutage tritt, weil wir gewohnt sind, viele Emotionen zu unterdrücken. Achtsamkeits- und Meditationstechniken können hier sehr helfen. Viel Angst ist unterdrückte Trauer. Max Strom, der Atemtechniken lehrt, beispielsweise bei Menschen mit Panikattacken, sieht darin den Grund, dass viele Menschen beginnen zu weinen, sobald sie anfangen, an ihren Ängsten zu arbeiten.4 Unterdrückte Ängste haben interessanterweise auch viel mit der Burnoutrate von 50–55% bei Ärzten zu tun, so Hanscom.3
"Wenn man sich sicher fühlt, geschieht eine tiefgreifende Veränderung in der Chemie des Körpers [...] von Adrenalin, Kortisol, Histaminen und inflammatorischen Zytokinen hin zu Wachstumshormonen, Dopamin, Serotonin und GABA."
Lernt jemand Strategien zur Dämpfung der Stressreaktion, so Hanscom, verschwinden viele der assoziierten Symptome, bspw. Ängste. Die Patienten kommen nicht nur mit den Symptomen klar, die Symptome bessern sich bzw. verschwinden.1
Referenzen:
1. The Interconnectedness Between Anxiety and Inflammation. Mercola.com http://articles.mercola.com/sites/articles/archive/2020/11/08/hanscom-covid-19-prevention.aspx.
2. Hanscom, D. Thrive and Survive. https://backincontrol.com/thrive-and-survive-covid-19-the-polyvagal-approach/.
3. Spine Surgeon Reveals Chronic Pain Treatment. Mercola.com http://articles.mercola.com/sites/articles/archive/2015/11/22/chronic-pain-treatment.aspx.
4. TEDx Talks. Breathe to Heal | Max Strom | TEDxCapeMay. https://www.youtube.com/watch?v=4Lb5L-VEm34 (2015).