Ein kleiner Überblick über wichtige Forschungsergebnisse, die das Gebiet voranbringen.
Die Forschung zu M. Alzheimer hat in 2020 wichtige Fortschritte erzielt. Etliche entspringen der über die letzten Jahre hinweg konsolidierten Erkenntnis, dass dem klinischen Vollbild der Erkrankung ein langjähriges Stadium vorausgeht, in welchem sich pathologische Prozesse bereits in Gang befinden, aber noch keine kognitiven und funktionellen Verluste einsetzen.
Blutbasierte Biomarker könnten in naher Zukunft eine entscheidende Rolle für die frühzeitige Erkennung dieses Vorläuferstadiums spielen, allen voran phosphoryliertes Tau im Plasma. Zudem könnten Bluttests eine nicht invasive, günstiger verfügbare Ergänzung zu Liquor- und PET-Diagnostik darstellen. Aktuellen Studienresultaten hierzu haben wir deswegen im Januar einen eigenen Beitrag gewidmet: Sind zuverlässige Bluttests für M. Alzheimer in Sicht?
Für Diskussionsstoff sorgte der monoklonale Antikörper Aducanumab, der selektiv an Beta-Fibrillen und lösliche Oligomere binden und den Abbau von Amyloid fördern kann. Eine Reihe von Antikörpern mit diesem Behandlungsansatz war in klinischen Studien der letzten Jahre gescheitert (zuletzt Crenezumab von Roche, davor Solanezumab von Eli Lilly).
Beachtliche Reduktionen von Amyloid-Ablagerungen unter Aducanumab in einer Phase-Ib-Studie1 veranlassten zu zwei großen Phase-III-Studien 'EMERGE' und 'ENGAGE'. Diese wurde jedoch vorzeitig, Anfang 2019, vorübergehend abgebrochen, nachdem eine Futility-Analyse ergeben hatte, dass der primäre Endpunkt, eine Verlangsamung des kognitiven und funktionellen Abbaus, nicht mehr erreicht werden könne.
Über verschiedene Runden der Datenauswertung hinweg gab es wechselhafte Mitteilungen. Auf einer Investorenkonferenz im Oktober 2020 verkündete der Hersteller Biogen, dass (nach Analyse der Daten von weiteren 139 und 179 Teilnehmern) in 'EMERGE' doch eine Verbesserung im Vergleich zu Placebo erkennbar geworden sei (in 'ENGAGE' hatten sich die Patienten hinsichtlich des CDR–SB-Scores gegenüber Placebo sogar verschlechtert).
Die Diskrepanzen zwischen den Resultaten beider Studien waren den externen FDA‑Gutachtern jedoch zu groß, die die Evidenz für Wirksamkeit und Sicherheit als unzureichend bewerteten und Biogens dennoch eingereichten Zulassungsantrag ablehnten.2,3 Das Votum der geladenen Experten ist zwar für die FDA nicht bindend und obwohl sich die endgültige Entscheidung der Zulassungsbehörden noch ändern kann, ist der Fall Aducanumab eine Lernmöglichkeit, um die methodischen Aspekte der Medikamentenentwicklung zu verbessern, heißt es in einem aktuellen Kommentar im Lancet Neurology.4 "Diese Entscheidung erinnert daran, dass eine Minderung der Pathologie der Alzheimer-Krankheit nicht unbedingt zu klaren klinischen Ergebnissen führen muss."
Eine verlaufsmodifizierende Therapie zu finden, bleibt demnach weiterhin eine Herausforderung.
Ermutigende Neuigkeiten gibt es jedoch aus der nicht medikamentösen Prävention.
Eine regelmäßig erscheinende Sonderausgabe des Lancet, die Lancet Commission on Dementia prevention, intervention, and care, hob 2020 nach Auswertung der aktuellen Datenlage 12 Faktoren besonders hervor, die sich zur Risikoreduktion besonders lohnen könnten: Diabetes, Hypertonus und Übergewicht im mittleren Lebensalter, körperliche Inaktivität, Rauchen, niedriger Bildungsstatus, Schwerhörigkeit, traumatische Hirnschäden, Alkoholabusus, soziale Isolation, Depression und Schadstoffbelastung in der Luft. Im Vergleich zu der in der Lancet Commission 2017 berichteten Evidenz sind dies drei wichtige Risikofaktoren mehr und der geschätzte Anteil vermeidbarer Alzheimer-Fälle ist damit von 35 auf 40% gestiegen.4
Sicherlich werden mit der Zeit weitere modifizierbare Risikofaktoren hinzugefügt werden. So weisen neuere Ergebnisse der 'LipiDiDiet'-Studie5 nochmals auf die Rolle einer adäquaten Nährstoffzufuhr hin, insbesondere bei Personen mit Demenzrisiko – eine Population, in der dieses Ziel schwierig zu erreichen sein kann. Nach initialem Null-Ergebnis einer diätetischen Intervention bei Patienten mit Prä-Demenz über zwei Jahre (Fertignahrung mit mehreren Vitaminen sowie Omega-3-Fettsäuren) zeigte sich nach längerer Anwendung (über ein weiteres Jahr) dann doch eine Verlangsamung des Abbaus von Kognition, Funktion, Hirnatrophie und Erkrankungsprogress. Vielleicht ein weiteres Indiz dafür, dass das Management eines Faktors allein bei bereits beginnender Klinik zwar immer noch einen Nutzen erbringen, aber ein multimodales, möglichst frühes Ansetzen auf Populationsebene nicht ersetzen kann.
Eine von mehreren Initiativen in diese mehrgleisige Richtung baut auf den erfolgreichen Erfahrungen der randomisierten, kontrollierten 'FINGER'-Studie auf (Finnish Geriatric Intervention Study to Prevent Cognitive Impairment and Disability). Diese belegte die Machbarkeit und Wirksamkeit einer multimodalen Lebensstil-Intervention, die Ernährungsberatung, Bewegung, kognitives Training sowie die Kontrolle vaskulärer und metabolischer Risikofaktoren beinhaltete.
Das 'World-Wide FINGERS'-Netzwerk verfolgt das Ziel, das gleiche Modell in verschiedenen Umgebungen und bei Menschen mit unterschiedlichen Risikoprofilen zu testen, auch in solchen, die in anderen Alzheimer-Studien unterrepräsentiert sind. 2017 ins Leben gerufen, umfasst es inzwischen Forschungsteams aus über 30 Ländern.4,6
Referenzen:
1. Sevigny, J. et al. The antibody aducanumab reduces Aβ plaques in Alzheimer’s disease. Nature 537, 50–56 (2016).
2. Ärzteblatt, D. Ä. G., Redaktion Deutsches. Morbus Alzheimer: Externe FDA-Berater lehnen Zulassung von Aducanumab... Deutsches Ärzteblatt https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/118170/Morbus-Alzheimer-Externe-FDA-Berater-lehnen-Zulassung-von-Aducanumab-ab (2020).
3. USA: Negativvotum für Alzheimer-Mittel Aducanumab. Pharmazeutische Zeitung online https://www.pharmazeutische-zeitung.de/negativvotum-fuer-alzheimer-mittel-aducanumab-121768/.
4. Kivipelto, M. & Mangialasche, F. Dementia research in 2020: moving forward despite the COVID-19 pandemic. The Lancet Neurology 20, 3–5 (2021).
5. Soininen, H. et al. 36-month LipiDiDiet multinutrient clinical trial in prodromal Alzheimer’s disease. Alzheimer’s & Dementia 17, 29–40 (2021).
6. Kivipelto, M. et al. World-Wide FINGERS Network: A global approach to risk reduction and prevention of dementia. Alzheimers Dement 16, 1078–1094 (2020).