Noch immer existiert keine kurative Therapie bei M. Alzheimer. Ist es vielleicht an der Zeit, den starken Fokus auf Amyloid‑β zu überdenken und anderen potenziell krankheitsauslösenden Faktoren mehr Aufmerksamkeit zu schenken?
Zu Beginn dieses Jahres endeten zwei hochrangige klinische Studien zu neuen Wirkstoffen für die Alzheimer-Therapie erfolglos. Sie reihen sich ein in eine lange Liste enttäuschter Hoffnungen. Grund genug, zu hinterfragen, ob wir wirklich an der entscheidenden Stelle suchen, so eine kürzlich in der Nature erschienene Diskussion, die wir hier aufgreifen wollen.
Vergangene Versuche der Entwicklung einer spezifischen Therapie gegen diese schlimme Erkrankung gründeten sich auf eine Annahme, die die Alzheimer-Forschung seit Jahren dominiert: die Amyloid-Hypothese. Diese besagt, dass durch Akkumulation und Verklumpung fehlgefalteter Amyloid‑β-Proteine (Aβ) extrazelluläre Plaques im Gehirn entstehen, welche neurodegenerative Prozesse auslösen. Aβ ist daher ein offensichtliches therapeutisches Target. Forscher hofften, wenn dem Peptid beizukommen wäre, könne man die Erkrankung behandeln.
Damit Aβ entstehen kann, bedarf es eines Vorläuferpeptids, dem APP (amyloid precursor protein). Die Enzyme β- und γ‑Secretase setzen daraus kürzere Spaltprodukte, darunter auch Aβ, frei. Die familiäre Form der Alzheimerdemenz ist mit Defekten in den Genen für APP und γ‑Secretase (Presenilin 1 und 2) assoziiert.
Versuche, die Secretasen über Antikörper-Therapien zu inhibieren, schlugen fehl, da diese Enzyme außer APP auch andere lebenswichtige Proteine spalten und es kam zum Teil zu einer Verschlechterung der kognitiven Funktion der Probanden.
Ein anderer Ansatz konzentriert sich auf APP und versucht, die Länge der Spaltprodukte zu beeinflussen. γ‑Secretase schneidet nämlich nicht immer an der gleichen Stelle des APP. Je länger die Spaltprodukte, desto leichter verklumpen sie und als desto pathogener sind sie einzustufen.1
Einer der Mitbegründer der Amyloid-Hypothese und u. a. Entdecker einer Mutation im APP‑Gen ist Prof. John Hardy. Er ist überzeugt, dass nicht die Grundidee falsch war, sondern deren Umsetzung.
Eine Ursache für das Scheitern bisheriger Versuche könnte sein, dass die Blockade der Aβ-Bildung wahrscheinlich nur in sehr frühen Stadien sinnvoll ist. Die stromabwärts gelegenen, durch Aβ getriggerten Prozesse — wie Inflammation, Dysfunktion von Synapsen und Zelltod — bestehen, einmal in Gang gesetzt, selbst nach Clearance der Proteine weiter.1
Patienten rechtzeitig herauszufischen, ist schwierig, da die Behandlung in einem Stadium erfolgen müsste, in dem noch keine Symptome vorliegen. Oft gehen Plaques in der PET dem Verlust von Gedächtnis und kognitiven Leistungen um Jahre bis Jahrzehnte voraus. Einige Studien selektieren klinisch noch unauffällige Probanden mit Mutationen in den APP- oder Presenilin-Genen, um die Sicherheit und Effektivität von Interventionen in dieser frühen Phase zu untersuchen.
Wie es für den Ansatz der Amyloid-Hemmung weitergeht, wird u. a. von den für 2020 erwarteten Ergebnissen einer derzeit laufenden Phase‑III-Studie an Patienten im Frühstadium mit Aducanumab abhängen, einem Antikörper, der nicht an der Bildung von Aβ ansetzt, sondern Plaques beseitigen soll. Es kam zu einer dosisabhängigen Verlangsamung des kognitiven Abbaus. Bei Erfolg wäre es der bislang einzige Wirkstoff, der die Studienphase überwindet. Bleibt auch dieser auf der Strecke, wird sich die berechtigte Frage nach der Eignung von Aβ als Target wieder stellen.1,2
Für die dominant vererbte Form des Alzheimer mag die Amyloid-Hypothese sehr relevant sein, aber Wissenschaftler anderer Ansätze und präventiver Ideen klagen über größte Schwierigkeiten bei Finanzierung und Publikation ihrer Forschung. Für sporadische Formen des Alzheimer gibt es gut gestützte weitere Kandidaten, wie Nanopartikel aus der Umwelt, Mikroorganismen (nach unbehandelter HSV‑Infektion wurde bspw. von erhöhten Alzheimer-Raten berichtet) und Inflammation (ein mit sporadischer Alzheimerdemenz assoziiertes Gen, APOE, ist auch an der Regulation der Immunfunktion beteiligt).
Kritiker der Amyloid-Hypothese halten entgegen, dass Gehirne älterer Menschen ohne kognitive Defizite zum Teil auch Aβ‑Ablagerungen aufweisen. Andere Forscher sind sogar überzeugt, dass Aβ und Tau nicht die schädlichen Proteine sind, für die sie zumeist gehalten werden, sondern dass sie eine Schutzreaktion des Körpers auf metabolische Veränderungen und oxidativen Stress darstellen, der mit dem Alter zunimmt.
Auch durch Infektion mit Viren wie Herpes simplex (HSV) lässt sich bei Tieren quasi über Nacht eine massive Plaque-Bildung auslösen. Es wird sogar eine schützende antimikrobielle Funktion von Aβ vermutet3, wenngleich es anschließend in großer Menge natürlich mehr Schaden als Nutzen anrichtet. Wenn sich Mikroorganismen aufgrund eines gealterten Immunsystems im Gehirn aufhalten können, könnte dieses direkt und indirekt über Aβ geschädigt werden.
Ein anderes wichtiges pathologisches Kennzeichen bei Alzheimer sind Ablagerungen von Tau-Protein in Form intrazellulärer neurofibrillärer Tangles. Diese scheinen die Neuronen mehr zu schädigen als Aβ. Die Erkrankungsschwere korreliert auch kaum mit dem Vorhandensein von Amyloid-Plaques, sondern eher mit Anzahl und Lokalisation der Tau-Proteine.1
Ein Ansatz, der auch in fortgeschrittenen Stadien der Alzheimererkrankung noch interessant sein könnte, dreht sich um Mikroglia-Zellen, die zu diesem Zeitpunkt oft übersteuern und Neurone zerstören, Zytokine und freie Radikale freisetzen. In ihrem "Ruhezustand" sind sie nützlich als Haushälter, die über Phagozytose Schutt (wie Aβ) entfernen. Die Expression des Gens CD33 schaltet den proinflammatorischen Zustand ein, während TREM2 ihn abschaltet. Fast jeder Pharmakonzern, der noch Alzheimer-Therapien entwickelt, hat ein CD33‑Projekt gestartet. Ein solcher Wirkstoff könnte drei Fliegen mit einer Klappe schlagen: durch Rückgang der Entzündung Neuronen erhalten und gleichzeitig den Abtransport von Tau und Aβ fördern.1
Die Verfolgung einer vielversprechenden Hypothese bedeutet — nicht nur in der Medizin — oft das Ignorieren anderer. Hoffen wir, dass eine oder mehrere davon zusammen in naher Zukunft den lang ersehnten Fortschritt in der Therapie dieser weltweit zunehmenden Erkrankung ermöglichen.
Referenzen:
1. Makin, S. The amyloid hypothesis on trial. Nature (2018). doi:10.1038/d41586-018-05719-4
2. Wang, Y. et al. Lessons from Anti-Amyloid-β Immunotherapies in Alzheimer Disease: Aiming at a Moving Target. Neurodegener Dis 17, 242–250 (2017).
3. Kumar, D. K. V. et al. Amyloid-β peptide protects against microbial infection in mouse and worm models of Alzheimer’s disease. Sci Transl Med 8, 340ra72 (2016).