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Lebensstiländerung: Was, wenn der Patient nicht will?

Fischölkapseln und Lebensstil-Intervention – der heutige Blogbeitrag wurde inspiriert von einem Leserkommentar und einem Diabetologen-Interview.

Fischölkapseln und Lebensstil-Intervention – der heutige Blogbeitrag wurde inspiriert von einem Leserkommentar und einem Diabetologen-Interview.

Wir fangen erst nochmal mit den Fischölkapseln an. Unseren letzten Beitrag kommentierte Kollege "DrHUH" mit dem Hinweis auf die ärztliche Beratungsaufgabe: "Der Markt ist überschwemmt mit DHA-Produkten. (…) Wir Ärzte sind hier in der Pflicht, auf Apotheken zu verweisen bzw. sich zumindest mit Ergebnissen der Stiftung Warentest zu befassen."

Fischölkapseln: Was rät die Stiftung Warentest?

Die Anregung haben wir aufgegriffen und mal bei der Stiftung Warentest vorbeigeschaut, genauer gesagt, auf ihrer Website. Das Ergebnis ist etwas ernüchternd: Tatsächlich findet sich dort ein ausführlicher Testbericht – allerdings von 2005. Unter der sprachlich kreativen, aber wissenschaftlich fragwürdigen Überschrift Fischölkapseln: Meer-Schutz fürs Herz geht es um 14 Fischölpräparate, darunter zwei Arzneimittel. Die Produkte wurden nicht auf ihre Wirksamkeit hin untersucht, sondern mit Blick auf Zusammensetzung, Schadstofffreiheit (überwiegend "sehr gut"), Kennzeichnung und Kosten.

Der Rat der Stiftung Warentest am Textende lautet: "Fischöl beziehungsweise seine empfindlichen Fettsäuren brauchen Vitamin E als Oxidationsschutz. Zwei Produkte hatten diesen Zusatz nicht. Ansonsten fanden wir bei den untersuchten Kapseln kaum Qualitätsunterschiede. Sie können beim Kauf deshalb den Preis entscheiden lassen."

3.465 Nutzer fanden das hilfreich. Und im aktuellsten Kommentar (vom 18.07.2018) wird die auch von uns erwähnte Cochrane-Analyse zitiert, die keine belastbaren Hinweise auf kardiovaskuläre Schutzeffekte fand. Wir beenden damit vorerst die Fischöldebatte, bleiben aber noch bei der digitalen Mediennutzung.

Erfahrungsschatz im Internet: die Patientensicht

Ja, die Menschen tummeln sich im Internet und seinen Foren und hinterlassen dort viel sprachlichen und gedanklichen Müll, aber auch viele interessante Informationen und Erfahrungsschätze. Das sich ein kurzer Blick in die Patientenforen für den Arzt lohnen kann, haben wir vor ein paar Monaten schon mal thematisiert. Dort werden u. a. auch Bedürfnisse, Präferenzen, Probleme und Verständnisschwierigkeiten geäußert, die die Patienten in der Praxis nicht mitteilen können, dürfen oder wollen. Relevante Faktoren für Behandlungs- und Betreuungs(miss)erfolge könnten sich bei gezieltem Nachforschen ebenfalls aus den Fragen, Antworten und Diskussionen extrahieren lassen. Vielleicht wird dafür ja mal ein intelligentes Programm entwickelt (oder gibt es das schon?).

Umgekehrt können Patienten außer vom Informationsaustausch und der Beantwortung spezifischer Fragen in der Peer-Group auch von Erfahrungsberichten anderer Betroffener profitieren. Gezielt erstellt und präsentiert werden solche zum Typ-2-Diabetes z. B. auf der IQWiG-Website gesundheitsinformation.de.

Oder auf krankheitserfahrungen.de, wo Kollege Eckart von Hirschhausen in einem Video-Grußwort dem Seitenbesucher sagt: "Was die Medizin vergessen hat, ist die Sicht des Patienten. Und da wissen Sie mehr als ich." In den Patienteninterviews spiegelt sich neben Behandlungserfolgen und persönlichen Lernkurven natürlich auch die nicht immer heile Versorgungsrealität wider.

Vorwürfe und Unverständnis vom Arzt

Beispiel: "Seit ihrem Herzinfarkt ist Bettina Neumann die Diabeteserkrankung wirklich bewusst. ( ) Der Herzinfarkt hätte ihrer Meinung nach vermieden werden können, wenn der Diabetes früher behandelt wurden wäre. Nach dem Herzinfarkt kam sie zur Reha und hatte dort auch eine Diabetesschulung, doch vermisste sie die Möglichkeit, selbst Fragen zu stellen, denn ein anderer Patient vereinnahmte die gesamte Stunde immer für sich. Vom Arzt in der Reha-Klinik fühlte sich Frau Neumann unverstanden. Anstatt ihr konkrete Hilfestellungen zu geben, konfrontierte er sie immer wieder mit dem Vorwurf, dass sie zu dick sei. ( )"

In beiden Fällen handelt es sich übrigens um mit öffentlichen Mitteln geförderte Projekte, die – wie bei Projekten so üblich – nach Ende von Projektlaufzeit und finanzieller Zuwendung nicht mehr weiterlaufen. Die Interviews wurden jeweils vor etwa einem Jahrzehnt geführt und stehen halt weiterhin im Netz. Die Aufmachung kommt etwas dröge daher, ob sich viele Patienten das anschauen, darf in Unkenntnis der Zugriffszahlen bezweifelt werden. Schade, da könnte man gefühlt mehr draus machen.

Lebensstil-Intervention: akzeptieren, wenn der Patient nicht will

Die Schlussvolte führt uns zur Lebensstil-Intervention, die beim Typ-2-Diabetes eine tragende Rolle spielen sollte. Eigentlich. Durch die Kontrolle der relevanten Risikofaktoren mittels gesunder Lebensführung und konsequentem Therapiemanagement kann die Lebenserwartung der Patienten nahezu normalisiert werden. In einer schwedischen Kohortenstudie erwies sich als stärkster Prädiktor für Schlaganfall oder akuten Myokardinfarkt ein erhöhter HbA1c-Wert und für frühzeitigen Tod der Nikotinabusus.

Doch was tun, wenn der Diabetes-Patient seinen Lebensstil nicht ändern will? Mit dieser Frage sind wir im Praxisalltag ja nicht gerade selten konfrontiert. Der Bochumer Diabetologe Prof. Juris Meier weist in einem aktuellen Interview auf drei wichtige Dinge hin:

Zum letztgenannten Punkt erklärt Meier: "Ich bin davon überzeugt, dass wir in dieser Hinsicht in der Diabetologie umdenken müssen. Wir müssen akzeptieren, dass es Menschen gibt, die trotz der damit verbundenen Risiken nicht bereit sind, ihren Lebensstil zu ändern. (…) Wir müssen lernen, das zu akzeptieren, statt den Patienten immer wieder zu bedrängen. Selbstverständlich bedeutet das nicht, dass wir in puncto Lebensstil­änderung nicht mehr motivierend auf den Patienten einwirken sollen. Aber wir müssen im Einzelfall erkennen, wo uns Grenzen gesetzt sind und wo Patienten diesen Weg nicht mitgehen wollen."

Ärztliche Empathie ist gefragt. Sie beginnt mit der Akzeptanz des Patienten und seiner Situation, seiner Präferenzen und seiner Ängste. Auf dieser Basis sollte eine ausführliche und verständliche Aufklärung dem Patienten die Erkrankung und die Konsequenzen seines Handelns bewusst machen. Nur Medikamente zu verordnen, reicht natürlich nicht. Aus den im Internet und in Umfragen geschilderten Patientenerfahrungen entsteht allerdings der Eindruck, dass dies mitunter immer noch so praktiziert wird. Vielleicht kommt es auch nur so beim Patienten an. Das ist aber am Ende das, was zählt.

Abkürzungen:
IQWiG = Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen