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Kurswechsel bei den Diabetes-Inzidenzen?

Nach Jahrzehnten steigender Trends scheint sich die Neuinzidenz von Diabetes in Ländern mit hohem Einkommen zu stabilisieren.

Nach Jahrzehnten steigender Trends scheint sich die Neuinzidenz von Diabetes in Ländern mit hohem Einkommen zu stabilisieren. 

In vielen Ländern gibt es seit einigen Jahren Anzeichen für eine Stabilisierung oder einen Rückgang der Diabetes-Inzidenzen, primär in Ländern mit hohem Einkommen. Dies berichtet eine aktuell im Lancet Diabetes & Endocrinology erschienene Auswertung1 von 24 populationsbasierten Datensätzen aus insgesamt 21 Ländern.

Abwärtstrend der Inzidenzen in vielen Ländern

Die Autoren schreiben eingangs ihrer Publikation: "Die Diabetes-Prävalenz nimmt an den meisten Orten der Welt zu, aber die Prävalenz wird sowohl durch das Risiko, an Diabetes zu erkranken, als auch durch das Überleben von Patienten mit Diabetes beeinflusst. Die Diabetes-Inzidenz ist ein besserer Maßstab, um die Trends im Diabetes-Risiko der Bevölkerung zu verstehen."

Die Wissenschaftler verglichen die Inzidenzentwicklungen zu verschiedenen Cutoff-Zeitpunkten.
Im Jahr 2009 zeigten 79"% (19/24 Populationen), im Jahr 2010 83% (19/23 Populationen), im Jahr 2011 82% (18/22 Populationen) und in 2012 81% (17/21 Populationen) einen signifikanten Abwärtstrend der Inzidenzen. Von den 23 Quellen, die über Daten ab 2010 verfügten, zeigten 19 eine rückläufige oder stabile Tendenz; die geschätzte jährliche Veränderung der Inzidenz reichte von -1,1% bis -10,8%, je nach Population. Bei den vier Quellen, aus denen ein steigender Trend hervorging, reichte die geschätzte jährliche Änderung von 0,9% bis 5,6%.

Viele Fragen bleiben noch offen

Dennoch ist Diabetes mellitus Typ 2 weltweit die häufigste Stoffwechselerkrankung, die mittlerweile auch in den Ländern der dritten Welt stark zugenommen hat und signifikante Morbidität und Mortalität mit sich bringt.2

Zwar war die Datenbasis mit 22 Mio. Diabetes-Diagnosen und mehr als 5 Mio. erfassten Personenjahren sehr groß, doch fast alle im Rahmen der Studie ausgewerteten Datensätze (22 von 24) stammten aus Ländern mit hohem Einkommen. Insgesamt waren Daten aus 19 Ländern mit hohem und zwei Ländern mit mittlerem Einkommen verfügbar.

Die Inzidenzraten wurden von verschiedenen Datenquellen unterschiedlich ermittelt, einschließlich Blutzuckerkonzentration, HbA1c, klinischen Diagnosen durch medizinisches Fachpersonal, Verwendung von ICD-9- oder ICD-10-Codes, Selbstauskunft oder Algorithmen.

Die Auswertung erfolgte auch danach stratifiziert, wann der HbA1c-Wert in den einzelnen Ländern formell als Mittel zur Diabetesdiagnose eingeführt wurde. Die Vereinigten Staaten führten diesen Messwert im Jahr 2010 ein; in Frankreich, Lettland, Litauen und der Ukraine gab es noch keine formelle Empfehlung zur Verwendung des HbA1c-Wertes. Unter diesen Ländern war in Frankreich und Lettland ein Rückgang der Diabetes-Inzidenzen erkennbar.3
Obwohl es eine messbare Verschiebung hin zum Diabetes-Screening per HbA1c-Bestimmung gab, ist es unwahrscheinlich, dass diese Veränderung allein für die rückläufigen Zahlen verantwortlich ist, meinen die Autoren.3

Wie geht es jetzt weiter?

Viele Fragen bleiben aktuell noch offen. Ein zugehöriger Kommentar fragt insbesondere: Könnten diese Rückgänge das Resultat von Interventionen und politischen Maßnahmen zur Senkung der Diabetes-Inzidenz sein oder handelte es sich um Datenartefakte? Welche Teile der Bevölkerung waren in diesen Daten vertreten? Wie werden sich die Veränderungen zentraler soziodemographischer Faktoren auswirken? Und wie steht es um den globalen Kontext von Diabetes: Wie geht es angesichts der Zunahme von Typ-2-Diabetes in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen weiter?4

Bisherige Untersuchungen zeigen: Intensivierte Lebensstil-Programme, die Ernährungsinterventionen und körperliche Aktivität kombinieren, konnten zu einer deutlichen Reduktion neuer Diabetesfälle beitragen. Damit wurde laut der finnischen Diabetes-Prevention-Study die Neuinzidenz von Diabetes Typ 2 um 58% verringert. Analog dazu senkte eine intensive Lebensstilmodifikation im Rahmen des amerikanischen Diabetes Prevention Program (DPP) die Neuinzidenz um 59%.2

Referenzen:
1. Magliano, D. J. et al. Trends in the incidence of diagnosed diabetes: a multicountry analysis of aggregate data from 22 million diagnoses in high-income and middle-income settings. The Lancet Diabetes & Endocrinology 9, 203–211 (2021).
2. Kardiovaskuläre Kompikationen bei Diabetes mellitus Typ 2 reduzieren. MedMix https://www.medmix.at/diabetes-mellitus-und-herz/ (2021).
3. Diabetes Diagnoses Trend Downward in High-Income Countries, But Research Questions Remain. Endocrinology Advisor https://www.endocrinologyadvisor.com/home/topics/diabetes/type-2-diabetes/high-income-countries-saw-declining-diabetes-diagnoses-in-recent-years/ (2021).
4. Ali, M. K., Seiglie, J. A. & Narayan, K. M. V. Progress in diabetes prevention or epidemiology—or both, or neither? The Lancet Diabetes & Endocrinology 9, 190–191 (2021).