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Diabetes und Big Data: Wie kann die Digitalisierung Patienten und Ärzte unterstützen?

Die digitale Kontrolle von Patienten ist in der diabetologischen Praxis längst angekommen. Doch Unmengen an Daten zu sammeln, ist nur die eine Seite. Diese sinnvoll zu nutzen, erfordert Erfahrung und Fingerspitzengefühl des behandelnden Mediziners.

Die digitale Kontrolle von Patienten ist in der diabetologischen Praxis längst angekommen. Doch Unmengen an Daten zu sammeln, ist nur die eine Seite. Diese sinnvoll zu nutzen, erfordert Erfahrung und Fingerspitzengefühl des behandelnden Mediziners. 

Kaum eine andere Erkrankung ist bezüglich der Behandlung so von erhobenen Daten abhängig wie Diabetes. Der Blutzuckerwert und der HbA1c-Wert sind von elementarer Bedeutung für eine optimale Therapie – ideal für die Behandlung wäre eine Art Dauermessung.

Dieser Möglichkeit rücken wir nun mit der zunehmenden technologischen Entwicklung immer näher. Technisch ginge das sogar schon, allein die Logistik dahinter ist noch nicht ausgereift. Aber wäre das überhaupt wünschenswert?

Sind Diabetologen Vorreiter in der digitalisierten Praxis?

Der Autor eines Beitrags zum Thema "Daten und Diabetes: Big-Data-Medizin" in der Dezember-Ausgabe des Diabetologen1 rät dazu, dem Thema durchaus Priorität einzuräumen: "Beschäftigen Sie sich mit Diabetestechnologie und gestalten Sie Ihre Praxis digital, damit Sie weiterhin an der Schaltstelle der Patientenbehandlung bleiben!"

Das sieht übrigens auch die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) so. Der Digitalisierung widmet sie eines von zehn strategischen Handlungsfeldern in ihrem Konzept-Papier "Diabetologie 2025"2. Der Diabetes wird ja neuerdings auch als "Datenmanagement-Erkrankung" bezeichnet (was irgendwie merkwürdig klingt; wir würden eher von einer „Datenmanagement-Behandlungsstrategie“ sprechen). Tatsächlich hält mittlerweile der kontinuierliche Austausch von Daten zwischen Patienten und ihren behandelnden Ärzten Einzug in die Praxis, ermöglicht durch Hard- und Software, die das Selbstmanagement unterstützen.

Die DDG schlussfolgert, dass der Diabetes-Bereich eine Vorreiterrolle in der Etablierung neuer digitaler Konzepte einnehmen könnte. Und außerdem: "Diabetologen und ihre Teams müssen strukturiert fortgebildet werden, um die Anforderungen der Digitalisierung in den nächsten Monaten und Jahren zu erfüllen."

Was bedeutet "Big Data" eigentlich?

Technologie ist klar, Digitalisierung auch, aber was ist jetzt Big Data? Die Antwort fällt schwammig aus. Ganz eindeutig ist die Definition nämlich nicht. Big Data ist einerseits eine Datenmenge, die zu groß, zu komplex und zu schwach strukturiert ist, um noch sinnvoll ausgewertet werden zu können. Andererseits wird der Begriff auch oft mit der Möglichkeit gleichgesetzt, eben diese Datenverarbeitung mit moderner, komplexer Software hinzubekommen. Mit dem Ziel, dadurch Muster, Abhängigkeiten und Zusammenhänge zu erkennen, die bisher nicht identifiziert werden konnten.

Bezogen auf das Diabetes-Management ist Big Data in jedem Fall ein bedeutendes Thema der nächsten Jahre. Ob nun im negativen Sinne (Datenschutz, Computer-Diagnosen statt Arzt-Diagnosen) oder im positiven Sinne (hochwertige diagnostische Hilfe, bessere therapeutische Möglichkeiten). Denn fest steht: Die Möglichkeit, alle körperlichen Daten eines Diabetikers ständig zur Verfügung zu haben, auszuwerten und sogar mit Therapievorschlägen zu ergänzen, wird es technologisch geben. Ob man das dann nutzen will, steht auf einem anderen Blatt.

Sind Computer die besseren Ärzte?

Ein interessantes Beispiel aus der Hämatologie. Es geht um "Dr. Watson". Nein, nicht die vom britischen Arzt und Schriftsteller Arthur Conan Doyle mit autobiographischen Zügen versehene Figur an der Seite von Sherlock Holmes. Sondern den Supercomputer von IBM, der im vergangenen Jahr einer japanischen Patientin vermutlich das Leben gerettet hat3. Bei der 60-Jährigen war eine akute myeloische (AML) Leukämie diagnostiziert worden. Nach anfänglichem Ansprechen auf die Chemotherapie verschlechterte sich ihr Zustand.

Die Ärzte zogen die künstliche Intelligenz zurate. Innerhalb von zehn Minuten glich Watson die genetischen Daten der Frau mit denen von 20 Millionen anderen Krebspatienten ab. Dabei filterte der Supercomputer nicht nur über 1.000 Mutationen heraus, sondern identifizierte vor allem diejenigen, die diagnostisch von Bedeutung waren. Das Ergebnis: Es handelte sich um eine andere, seltene Form von Leukämie, die Medikation wurde umgestellt, die Patientin überlebte.  

Und Watson war es auch, der ein passendes Krebsmedikament für die Behandlung vorschlug. Laut den Ärzten hat die künstliche Intelligenz der Patientin damit wahrscheinlich das Leben gerettet. Bei der bisherigen Behandlungsmethode wäre die Patientin vermutlich an Blutvergiftung oder Folgen eines zu schwachen Immunsystems gestorben. Die Ärzte wären nach Bekunden des Teamleiters am Ende auch auf die richtige Diagnose gekommen, allerdings zwei Wochen später. Das hätte die Patientin in diesem Fall möglicherweise nicht überlebt.

Virtuelle Konkurrenz für den menschlichen Arzt?

Es gibt also auch jenseits von viel Marketing und Investment-Prosa schon ganz konkrete Beispiele dafür, wie "Data Mining", Big Data und dessen Weiterentwicklung zum Cloud-basierten, kognitiven Assistenzsystem à la IBM Watson am Krankenbett helfen können.

"Durch die rasche Fortentwicklung und große Bedeutung von Digitalisierung und Big Data verlieren Ärzte erstmals in der Geschichte der Medizin die Deutungshoheit über Diagnose und Therapie", schreibt Manuel Ickrath im Diabetologen. Um gleich darauf anzufügen, dass "gute Ärzte" damit kein Problem haben dürften.

Oder eher ein Verstärker?

Das sehen wir auch so. Als guter Arzt wird man sich über die Möglichkeiten, die Big Data mit sich bringt, nur freuen können. Warum? Drei Punkte erscheinen wichtig:

Datenarbeit des Computers fördert sogar die "sprechende" Medizin

Sprechende Medizin und Apparatemedizin sind eben nicht als Alternativen oder Gegenpole zu sehen, sondern als notwendige und jeweils unersetzbare Bestandteile eines modernen Behandlungsmanagements. Gerade in der diabetologischen Praxis ist das Standard. "Sprechend" bezieht sich dabei natürlich nicht nur auf den Arzt, für den das "Hörend" mitunter noch wichtiger ist, als vor allem auf den Patienten. Denn die vielen Daten, die der Computer verarbeitet, sind nur Symbole und deshalb nicht gleichbedeutend mit der tatsächlichen, individuellen Patientenerfahrung.

Ein empathischer Arzt kann hier seine Spiegelneuronen und Erfahrungswerte einbringen und die Datenarbeit sowie Funktionalitäten des "lernenden Systems" dem Computer überlassen.

Erst durch die Interaktion von Mensch und Technik lassen sich die besten Ergebnisse erzielen. Ein Arzt, der nicht wie eine Maschine, sondern wie ein Mensch handelt, bleibt deshalb unersetzbar. Heute und auch in Zukunft, solange die Menschheit und Menschlichkeit noch etwas zu sagen hat.

Aktuelle Expertenbeiträge zu diesem Thema lesen Sie jede Woche neu im esanum Diabetes Blog.

Referenzen:

  1. Ickrath M. Daten und Diabetes: Big-Data-Medizin. Der Diabetologe 2016;12(8):550-7.
  2. Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). Diabetologie 2025 –  10 Strategische  Handlungsfelder. PDF (2016). (www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de; Zugriff am 23.01.2017)
  3. Rohaidi N. IBM’s Watson Detected Rare Leukemia In Just 10 Minutes. Asian Scientist Magazine 2016. (www.asianscientist.com; Zugriff am 23.02.2017)