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Antidiabetika in der FORTA-Liste: das rechte Maß?

Das regelmäßige Messen des HbA1c-Werts bei Patienten mit Typ-2-Diabetes ist das eine, die Festlegung der therapeutisch anzupeilenden Höhe dieses Zielparameters etwas anderes. Im Allgemeinen gilt ein Zielkorridor von 6,5-7,5%. Allgemein heißt aber nicht individuell.

Das regelmäßige Messen des HbA1c-Werts bei Patienten mit Typ-2-Diabetes ist das eine, die Festlegung der therapeutisch anzupeilenden Höhe dieses Zielparameters etwas anderes. Im Allgemeinen gilt ein Zielkorridor von 6,5-7,5%. Allgemein heißt aber nicht individuell. Die Dauer der Diabetes-Erkrankung, Komorbiditäten, Risikofaktoren, Mobilität, kognitive und psychomentale Ressourcen bzw. Beeinträchtigungen, die Patientenpräferenzen, die Lebenssituation und -qualität sowie das soziale Umfeld – all das spielt bei der individuellen und gemeinsamen Therapieentscheidung eine wichtige Rolle. Und natürlich das Alter und die Lebenserwartung.

 "Alter geteilt durch zehn" als Faustformel für betagte Diabetiker

Bei frisch diagnostiziertem Diabetes kann auch ein HbA1c unter 6,5% sinnvoll erscheinen, um längerfristige Komplikationen zu verhindern. Bei über 75-jährigen Patienten stehen dagegen eher die Beschwerdefreiheit und das akute Hypoglykämie-Risiko im Vordergrund der Betrachtung. "Alter geteilt durch zehn" – diese Faustformel zur groben Orientierung benennt der niedergelassene Diabetologe Dr. Stephan Arndt aus Rostock in einem soeben in der Ärzte Zeitung erschienenen Beitrag, auf den wir ganz am Ende nochmal zu sprechen kommen.

Welche Antidiabetika sind bei geriatrischen Patienten absolut empfehlenswert?

Vorher aber eine Frage: Welche Antidiabetika halten Sie bei geriatrischen Patienten für unverzichtbar?

Wenn Ihre Antwort "DPP4-Hemmer" (als einzige Substanzklasse) lautet, liegen Sie mit den Autoren der FORTA-Liste auf einer Wellenlänge. FORTA steht für "Fit fOR The Aged" und soll dem Monitoring und der Optimierung der pharmakotherapeutischen Versorgung von geriatrischen Patienten dienen. Der Heidelberger Pharmakologe Prof. Martin Wehling hat das Konzept initiiert und kümmert sich federführend um dessen Weiterentwicklung. An der Liste haben auch Geriater der Heidelberger Universität und weitere Kollegen aus diversen Institutionen sowie ein interdisziplinäres Delphi-Experten-Panel mitgewirkt.

Es handelt sich um eine Positiv-/Negativliste, mit deren Hilfe nicht nur eine Über- oder gar Fehltherapie, sondern auch eine Untertherapie vermieden bzw. korrigiert werden soll. Zitat: "Die FORTA-Klassifikation ist evidenzbasiert und ‚real-life‘-orientiert (Compliancefragen, altersabhängige Verträglichkeit, Häufigkeit relativer Kontraindikationen werden berücksichtigt)."

FORTA-Konzept: geriatrische Positiv-/Negativliste

Mehr als zwei Dutzend Indikationen werden berücksichtigt und dabei 273 Medikamente einer von vier Kategorien zugeordnet:

Die Liste können Sie sich hier als PDF herunterladen. Auf Seite 17 geht es um die Indikation Typ-2-Diabetes. Ein "A" gibt es dort, wie gesagt, nur für die Gliptine. In welchen Kategorien würden Sie nun die anderen Antidiabetika einordnen?

In der FORTA-Liste sieht das so aus:

Für Metformin gibt es noch Hinweise zur Beachtung von Nierenfunktion und ungewolltem Gewichtsverlust oder Gebrechlichkeit, für Acarbose den Verweis auf Verdauungsprobleme und geringe Wirksamkeit. SGLT-2-Hemmer (Gliflozine) bekommen in der immer noch aktuellen FORTA-Version von 2015  ein "D" und werden gar nicht empfohlen.

Klinischer Nutzen in Studie nachgewiesen

Wie zu lesen war, soll mit einer aktualisierten Fassung Anfang 2018 zu rechnen sein. Ob es darin auch Änderungen bei der Diabetes-Indikation geben wird, muss man sehen. Die FORTA-Empfehlung entspricht interessanterweise dem Vorgehen in einer kanadischen Kasuistik, über die wir im vergangenen Jahr berichtet haben. Bei einem 88-jährigen Patienten, der in der Notfallambulanz gelandet war, wurden drei Diabetes-Medikamente gestrichen und durch ein einziges ersetzt – ein Gliptin.

Für die Evidenzbasierung ihres Konzepts haben Wehling und Kollegen auch gesorgt: mit der randomisierten und kontrollierten Valforta-Studie1, die in zwei geriatrischen Kliniken ablief.  In der Publikation war die Klientel folgendermaßen definiert: über 65 Jahre und mindestens 3 Medikamente oder über 60 Jahre und mindestens 6 Medikamente, jeweils mit drei relevanten Erkrankungen und mindestens fünftägiger Hospitalisation. Die Wissenschaftler konnten nachweisen, "dass sich nach Anwendung der Forta-Liste die Qualität der Medikamentenversorgung gegen­über der Kontrollgruppe um das 2,7fache verbessert hat", so Wehling.

Auch als App fürs ärztliche Smartphone verfügbar

Praktisch für Ärzte mit wenig Zeit (der aktuell kolportierte Durchschnittswert pro Patient liegt im hausärztlichen Bereich bei 8 Minuten): Seit letztem Sommer gibt es die FORTA-Liste auch als kostenlose App. Ein entsprechender Bericht in der Ärzte Zeitung, dem auch das Wehling-Zitat entnommen ist, ging auf eine Verlautbarung der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) zurück.

Aufmerksam geworden auf das Thema sind wir im Zuge unserer Blog-Recherche übrigens durch einen anderen Artikel in der Ärzte Zeitung vom 22. Januar. In dem Beitrag "So sieht eine maßvolle Therapie für alte Diabetiker aus" kommentiert ein FORTA-Mitentwickler die Bewertung der Diabetes-Medikamente in der Liste. Manches davon ist gut nachvollziehbar, etwa die generelle Absage an Sulfonylharnstoffe (entgegen der "C"-Einstufung für Präparate der 3. Generation). Es stellt sich einem aber auch das ein oder andere Fragezeichen. Ein kritischer Leserkommentar weist darauf hin.

Nicht unüblich: Hersteller sorgen für mediale Aufmerksamkeit

Uns stellte sich zudem die Frage, wieso uns bei der Recherche über die FORTA-Liste auffällig viele Berichte darüber in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum begegneten. Die Antwort: Da haben wohl, neben der DDG, auch die Hersteller der favorisierten Gliptine die Medientrommel gerührt. Auf dem Portal diabetologie-online.de findet sich unter einem entsprechenden Artikel als Quellenvermerk "Pressemitteilung von MSD". Und der eingangs erwähnte Beitrag auf aerztezeitung.de (vom 29. Januar) beruht auf einer von Berlin-Chemie unterstützten Fortbildungsveranstaltung.

Ungeachtet dessen: Der Ansatz des FORTA-Konzepts, bei geriatrischen Patienten die sonst übliche Diabetes-Medikation in Frage zu stellen, ist sicher nicht verkehrt. Statt schneller Schema-Anwendung dürften diabetologisch versierte Ärzte hier aber wohl eine etwas differenziertere und vor allem individuell orientierte Vorgehensweise bevorzugen.

Aktuelle Expertenbeiträge zu diesem Thema lesen Sie jede Woche neu im esanum Diabetes Blog.

Referenzen:
1. Wehling M et al. VALFORTA: a randomised trial to validate the FORTA (Fit fOR The Aged) classification. Age Ageing 2016;45( 2):262-7