Menschen, die permanent nachts arbeiten, haben ein 36% höheres Risiko für mittleres bis schweres Asthma. Doch nicht nur Arbeitszeiten scheinen dabei eine Rolle zu spielen, sondern auch, ob sie zum individuellen Chronotyp passen.
Die meisten biologischen Prozesse des Menschen werden durch ein internes zirkadianes Zeitsystem reguliert, um die physiologischen Funktionen optimal auf die zu erwartenden täglichen Gegebenheiten vorzubereiten. Zyklische Hell-Dunkel-Umgebungsreize, Essenszeiten und körperliche Aktivität können als Zeitgeber für die zirkadiane Rhythmik dienen.
Passen interne Zeitmessung und Umwelt nicht zusammen, etwa durch Nachtschichtarbeit, wird diese Rhythmik zerrüttet. Zunehmende Evidenz spricht dafür, dass zirkadiane Verschiebungen mit Schlafstörungen und einem erhöhten Risiko für häufige chronische Krankheiten, wie Stoffwechsel-1, Herz-Kreislauf-Erkrankungen2 und Krebs3,4 verbunden sind.
Eine potenzielle Assoziation zu Asthma war bislang kaum untersucht, wenngleich ausgeprägte tageszeitliche Schwankungen von Asthmasymptomen und zugrundeliegenden inflammatorischen Signalwegen vorbeschrieben sind.5 Auch die physiologische tägliche Variation der Atemwegsdurchmesser steht unter direkter zirkadianer Steuerung.6 Bei Asthma scheinen diese normalen Schwankungen verstärkt zu sein, was eine Verbindung zwischen innerer Uhr und pathogenetischen Prozessen annehmen lässt.
Eine aktuelle Studie untersuchte daher anhand eines großen Datensatzes aus der 'UK Biobank' (über 280 Tsd. Teilnehmer), ob Verschiebungen zwischen biologischer Uhr und Umgebung das Asthmarisiko beeinflussen.5
Nach Korrektur für zahlreiche wichtige Störvariablen (Raucheranamnese, Ethnizität, sozioökonomischer Status, körperliche Aktivität, BMI) war das Asthmarisiko unter permanenten Nachtschichten im Vergleich zu Tagarbeitern um 23% erhöht, insbesondere das Risiko für mittleres bis schweres Asthma (um 36% erhöht). Jedwede Art von Schichtarbeit (Wechsel-, dauerhafte Nachtschicht) ging mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für Symptome wie Giemen einher.
Interessanterweise hatten sowohl Schichtarbeiter, die nie oder selten nachts arbeiteten, als auch Menschen, die dauerhaft nachts arbeiteten, häufiger eine reduzierte FEV1. 5
Der Begriff 'Chronotyp' beschreibt unterschiedliche Phänotypen, bei denen aufgrund der inneren zirkadianen Uhr physische Merkmale (wie z. B. Hormonspiegel, Körpertemperatur, Schlaf- und Wachphasen, Leistungsvermögen) zu unterschiedlichen Tageszeiten verschieden ausgeprägt sind.7 Dies wirkt sich auf die Adaptation an Schichtarbeit aus: frühe Chronotypen haben unter Nachtschichten am meisten mit verkürzter Schlafdauer und verstärkten Schlafstörungen zu kämpfen, während späte Chronotypen die gleichen Beeinträchtigungen unter Frühschichten zeigen. Der Chronotyp ändert sich häufig mit dem Alter.
Die Untersucher schauten sich extreme Morgen- oder Abendmenschen genauer an, da diese auch in Abwesenheit von Schichtarbeit zu einem gewissen Grade zirkadiane Verschiebungen erleben. Sie stellten fest, dass diese extremen Chronotypen selbst nach Berücksichtigung multipler anderer Variablen mit signifikant größerer Wahrscheinlichkeit an Asthma leiden.
So war bei Lerchen, die unregelmäßige Schichten, einschließlich Nächten, arbeiteten, eine besondere Zunahme des Risikos für mittleres bis schweres Asthma (um 55%) zu verzeichnen.
Oft werden ständig wechselnde Schichten als für den zirkadianen Rhythmus belastender angesehen als Dauernachtschichten, jedoch deuten Untersuchungen der zirkadianen Rhythmik von Melatonin darauf hin, dass es bei der absoluten Mehrheit der permanenten Nachtschichtler (> 97%) auch nicht zu einer adäquaten Umstellung der endogenen Zeitsteuerung auf das nächtliche Wachsein kommt.8
Da die Daten aus einer Querschnittbeobachtungsstudie stammen, ist keine kausale Folgerung möglich. Doch auch wenn solche Studien anfällig für Störvariablen sind, unterstützt die zunehmende Evidenz zu den plausiblen Mechanismen zirkadianer Dysregulation den Gedanken, dass es lohnen würde, dem weiter nachzugehen.9
Aufgrund der hohen Koprävalenz von Asthma und Schichtarbeit sind die Implikationen dieser Beobachtungen für das öffentliche Gesundheitswesen weitreichend, schließen die Autoren: "Etwa 20% der arbeitenden Bevölkerung in Industriestaaten arbeiten in permanenten oder wechselnden Nachtschichten, was diese große Population dem Risiko von durch zirkadianer Fehlausrichtung verursachten Krankheiten aussetzt.[...]
Zukünftige Follow-Up-Studien sind nötig, um herauszufinden, ob eine Modifizierung von Schichtdienstsystemen unter Berücksichtigung des Chronotyps eine Maßnahme darstellen könnte, um das Risiko der Entwicklung entzündlicher Erkrankungen wie Asthma zu reduzieren."
Was kann man derweil tun, wenn man in einem Beruf mit Nachtschichten arbeitet? Diese beiden Beiträge geben einige Tipps:
Allgemeiner Artikel der Sleepfoundation
Den negativen Auswirkungen von Nachtschichten entgegenwirken
Referenzen:
1. Vetter, C. et al. Night Shift Work, Genetic Risk, and Type 2 Diabetes in the UK Biobank. Diabetes Care 41, 762–769 (2018).
2. Jankowiak, S. et al. Current and cumulative night shift work and subclinical atherosclerosis: results of the Gutenberg Health Study. Int Arch Occup Environ Health 89, 1169–1182 (2016).
3. Wegrzyn, L. R. et al. Rotating Night-Shift Work and the Risk of Breast Cancer in the Nurses’ Health Studies. American Journal of Epidemiology 186, 532–540 (2017).
4. Erhöht Nachtschichtarbeit das Krebsrisiko? https://www.esanum.de/blogs/onkologie-blog/feeds/today/posts/erhoeht-nachtschichtarbeit-das-krebsrisiko.
5. Maidstone, R. J. et al. Night shift work is associated with an increased risk of asthma. Thorax 76, 53–60 (2021).
6. Spengler, C. M. & Shea, S. A. Endogenous Circadian Rhythm of Pulmonary Function in Healthy Humans. Am J Respir Crit Care Med 162, 1038–1046 (2000).
7. Chronotyp. Wikipedia https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Chronotyp&oldid=205737843 (2020).
8. Folkard, S. Do permanent night workers show circadian adjustment? A review based on the endogenous melatonin rhythm. Chronobiol Int 25, 215–224 (2008).
9. Agingdoc1 MD, PhD (@agingdoc1) / Twitter. Twitter https://twitter.com/agingdoc1.