Kürzlich erschien der jährliche, weltweite TB-Bericht der WHO. Dessen trauriges Fazit: die Coronakrise hat die jahrelangen Fortschritte wieder zunichte gemacht und wir sehen nun zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder eine Zunahme der Todesfälle.
Es verbleibt noch ein Jahr, um die historischen Tuberkuloseziele für 2022 zu erreichen, zu denen sich Staats- und Regierungschefs 2018 anlässlich eines Treffens der Vereinten Nationen (UN) zum Thema Tuberkulose bekannt hatten. Die Coronakrise hat diese Zielsetzungen in weite Ferne rücken lassen, heißt es eingangs des 'Global tuberculosis report 2021'.1
Zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrzehnt ist die Zahl der Tuberkulose-Todesfälle weltweit gestiegen (von 1,4 Mio. auf 1,5 Mio.).
Der kritische Punkt: Unterdiagnostik. Schwierigkeiten in der Verfügbarkeit von medizinischen Leistungen für Tuberkulose haben dazu geführt, dass viele Menschen mit Tuberkulose im Jahr 2020 nicht diagnostiziert wurden, so der Bericht. Die Zahl der neu diagnostizierten und gemeldeten Tuberkulosefälle sank von 7,1 Mio. in 2019 auf 5,8 Mio. in 2020. Dies stellt einen Rückgang um 18% auf das Niveau von 2012 dar und liegt weit entfernt von den geschätzt 10 Mio. Menschen, die im Jahr 2020 an Tuberkulose erkrankten.
93% dieses Rückgangs entfielen auf 16 Länder, darunter waren Indien, Indonesien, die Philippinen und China am stärksten betroffen. Vorläufige Daten bis Juni 2021 zeigen, dass diese Defizite fortbestehen.
Darüber hinaus schätzt die WHO, dass derzeit etwa 4,1 Mio. Menschen an Tuberkulose leiden, bei denen die Krankheit jedoch nicht diagnostiziert oder den nationalen Behörden nicht offiziell gemeldet wurde. Diese Zahl lag 2019 mit 2,9 Mio. noch deutlich niedriger.1,2
Der erschwerte Zugang zur Versorgung für diese Population führte unter anderem auch dazu, dass zwischen 2019 und 2020 nur jeder Dritte, der eine Behandlung gegen arzneimittelresistente Tuberkulose benötigt hätte, eine solche erhielt (-15%, von 177,1 Tsd. auf 150,4 Tsd.). Rückgänge waren ebenfalls in der TB-Prävention (-21%, von 3,6 Mio. auf 2,8 Mio.) und in den weltweiten Ausgaben für TB-Diagnose-, Behandlungs- und Präventionsdienste zu verzeichnen (von 5,8 Mrd. auf 5,3 Mrd. Dollar, weniger als die Hälfte des Bedarfs).
Der in den vergangenen Jahren erreichte Rückgang der TB-Inzidenz ist fast zum Stillstand gekommen. Nur in einzelnen Regionen gab es Erfolge, z. B. in Russland, wo die Zahl der Neuerkrankungen von 2010 bis 2020 pro Jahr um 6% gesunken ist.
Der Anstieg der TB-Todesfälle geht hauptsächlich auf die 30 Länder mit der höchsten Tuberkulosebelastung zurück. Bestmögliche Schätzungen gehen von 1,3 Mio. TB-Todesfällen unter HIV-negativen Menschen (im Vergleich zu 1,2 Mio. 2019) sowie weiteren 214 Tsd. Todesfällen unter HIV-Positiven aus (im Vergleich zu 209 Tsd. in 2019). Die Gesamtzahl ist damit wieder auf das Level von 2017 gestiegen.
Prognosen lassen erwarten, dass sich diese Auswirkungen in den Jahren 2021 und 2022 deutlich verstärken werden. Daher betonen die Autoren die Dringlichkeit von Maßnahmen zum Auffangen und Rückgängigmachen dieser Auswirkungen der Krise. Die unmittelbare Priorität stellt für sie die Sicherung der Erkennung und Behandlung von Tuberkulosefällen dar, sodass diese mindestens wieder das Niveau von 2019 erreichen kann, insbesondere in den am stärksten betroffenen Ländern.1
Ein aktueller Beitrag im 'Lancet Respiratory Medicine' vermittelt dennoch Hoffnung, dass die UN-Ziele von 2018 vielleicht doch noch erreicht werden könnten.
Bis 2020 wurden 19,8 Mio. Behandelte gezählt, etwa die Hälfte der für 2022 angestrebten 40. Mio. Für Kinder liegt das Ziel bei 3,5 Mio. und bis 2020 hatten etwa 1,4 Mio. Kinder (41%) ihre Therapie erhalten.
Die Behandlung von multiresistenter und Rifampicin-resistenter TB liegt allerdings weit hinter den Zielsetzungen zurück, diese erreichte bislang nur 32 % der 1,5 Mio. Erwachsenen und gerade einmal 11% der 115 Tsd. Kinder.2
Beinahe zeitgleich mit dem diesjährigen TB-Bericht erschien Arifa Akbars Buch 'Consumed: A Sister's Story'. "Es war uns nun klar, dass meine Schwester im Alter von 45 Jahren in einem namhaften Londoner Krankenhaus an einer unbekannten Krankheit gestorben war." Ihre ältere Schwester Fauzia war im Jahre 2016 an einer behandelbaren Erkrankung verstorben, an Tuberkulose. Schmerzen in der Brust, Kurzatmigkeit und nächtliche Schweißausbrüche hatten zu zwei Hospitalisationen geführt. Ein Gesichtsödem und eine Lungenentzündung traten hinzu, aber die Ärzte waren noch immer ratlos. Später wurde ihre Sprache lallend und ihr Verhalten unkontrollierbar. Die Diagnose blieb den Behandlern verborgen, bis die Patientin bereits eine massive intrazerebrale Blutung erlitten hatte.3
Das Buch ist eine Aufarbeitung und Memoire ihres kurzen, bewegten Lebens mit vielen Schicksalsschlägen, die die Laufbahn der talentierten Künstlerin früh unterbrochen hatten. "Sie hatte im Sterben so viel Pech wie im Leben."
Dr. Rageshri Dhairyawan, Expertin für STDs und HIV am Barts Health NHS Trust, London, beschreibt das Buch: "Eine Meditation über Erinnerungen und die Kunst, das Buch ergründet auch die viel belastete Beziehung zu ihrer Schwester, ihre Trauer und die inhärente Subjektivität von Erinnerungen."4
Referenzen:
1. Global tuberculosis report 2021. https://www.who.int/publications-detail-redirect/9789240037021.
2. Kirby, T. Global tuberculosis progress reversed by COVID-19 pandemic. The Lancet Respiratory Medicine 9, e118–e119 (2021).
3. Sturges, F. Consumed by Arifa Akbar review – a sister’s story. The Guardian (2021).
4. Dhairyawan, R. A story of sisterhood. The Lancet 398, 1560–1561 (2021).