Mal sehen, welches Ei uns die Regierung nach Ostern ins Nest legen wird. Es sollte "Exit" draufstehen und eine gezielte Lockerungsstrategie drin sein, möglicherweise nach südkoreanischem Rezept.
Eine positive Meldung kommt von der Universität Leipzig. Dort füttert der Epidemiologe Prof. Markus Scholz sein eigenes infektionsepidemiologisches Modell für SARS-CoV-2 täglich mit Daten aus verschiedenen Quellen, u. a. vom RKI und vom Sächsischen Staatsministerium für Soziales. Auf dieser Basis schätzt sein Institut für Medizinische Informatik, Statistik und Epidemiologie (IMISE) die Nettoreproduktionszahl (die durchschnittliche Anzahl an Personen, die ein Infizierter ansteckt) für Deutschland auf 1,23, für Sachsen auf 1,19 und für Leipzig auf 1,05:
Entwicklung der Testpositiven- und Verstorbenenzahlen sowie der Reproduktionsrate. Foto: IMISE. Quelle: Universität Leipzig
Diese Werte waren laut Scholz vor zwei Wochen noch mehr als doppelt so hoch. In Leipzig ist die Epidemie damit "zum Stillstand gekommen", ab einem Wert < 1 wird sie zurückgedrängt. Für eine komplette Zurückdrängung müssten die aktuell geltenden Beschränkungsmaßnahmen noch längere Zeit so fortgeführt werden. Das ist volkswirtschaftlich nicht verantwortbar. Andererseits ist bei ihrer sofortigen Aufhebung mit einer zweiten Flut an Neuinfektionen zu rechnen. Es muss also ein Mittelweg her.
Beim schwedischen Sonderweg (siehe letzter Beitrag) scheint übrigens eine Kursänderung hin zu einer Verschärfung der bislang milden Anti-Corona-Maßnahmen anzustehen (tagesschau.de). Falls das dafür geplante Gesetz verabschiedet wird, soll es drei Monate gelten. Nach dieser Zeitspanne müsste man das Schlimmste hinter sich haben, so die Hoffnung. Aktuell (Stand: 08.04.2020) liegt die Zahl der bestätigten Infektionen (auch bedingt durch die eingeschränkte Zählweise) nur bei rund 7.700, die Zahl der Covid-19-Todesfälle aber bei schon bei fast 600. Grob gerechnet sind das 60 Tote auf eine Million Einwohner, zweieinhalb mal mehr als hierzulande (jeweils gerundet: 107.700 bestätigte Infektionen, 2.000 Todesfälle, 24 Tote pro 1 Million Einwohner). In Südkorea starben laut Dashboard der Johns Hopkins University bislang nur 200 Menschen. Damit ergibt sich eine Rate von weniger als 4 Toten pro 1 Million Einwohner, bei knapp 10.400 bestätigten Infektionen.
Der Leipziger Epidemiologe Scholz empfiehlt für Deutschland: "Wir sollten uns hier stark an Südkorea orientieren, die ohne 'Lockdown' auskommen, aber die Epidemie unter Kontrolle haben. Das bedeutet konsequentes Testen von Personen, die viele Kontakte haben, konsequente Isolations- und Quarantänemaßnahmen von Betroffenen und weitgehende Aufrechterhaltung der Abstandsregeln im öffentlichen Raum. So könnten zum Beispiel Läden, Restaurants und Kinos unter diesen Einschränkungen wieder öffnen."
Auf eine andere universitäre Meldung aus Leipzig – und von der Uni Paderborn – stützt sich ein esanum-Beitrag mit dem schönen Titel "Die Krise sportlich nehmen". Tatsächlich sieht man in diesen Tagen mehr Menschen joggen und Rad fahren als üblich, was nicht nur an den geschlossenen Fitnessstudios liegen dürfte. Vor allem sieht man dabei – zwangsweise – viele Eltern mit ihren Kindern, die sich im Freien bewegen und spielen. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Bewegungsimpuls über den Lockdown hinaus Bestand haben wird. Die Zwiespältigkeit der Situation kommt in den beiden Leserkommentaren zum Ausdruck: "Wir werden momentan ganz passiv entschleunigt. Warum nutzen wir die Situation nicht und spielen Trittbrettfahrer? Ganz ohne Zwang und Druck. Wer weiß, was uns dieser Ansatz über uns selbst lehrt?" versus "Menschen in weniger priviligierten Situationen haben nicht die Möglichkeit zu Hause zu bleiben und Yoga zu machen", ist da zu lesen.
Nun ja, zu Hause bleiben kann die Mehrzahl der Kolleginnen und Kollegen tatsächlich nicht. Dafür tun das immer mehr Patienten. Sie können, unterstützt und motiviert durch unser Zusprechen, durchaus etwas für ihre körperliche und seelische Ausgeglichenheit durch ein gezieltes Trainings- und Ruheprogramm tun. Das galt schon vor der Corona-Krise und bekommt durch sie mehr Spielraum zur Wahrnehmung und Entfaltung. Wichtige Stichworte dafür sind "richtiges Maß" und "Achtsamkeit" – und "Gewöhnung": Der menschliche Organismus – und vielleicht sogar die ganze Gesellschaft (?!) – kann sich an fast alles gewöhnen, auch an einen gesünderen Lebensstil. Das wäre dann ein Exit in eine bessere, gesündere Zukunft.
Abkürzungen:
RKI = Robert Koch-Institut